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Delia, die weisse Indianerin

Delia, die weisse Indianerin

Titel: Delia, die weisse Indianerin
Autoren: Marie Louise Fischer
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hochgesteckten, schlicht gescheitelten Haar, durch das sich schon die ersten grauen Fäden zogen.
    „Diesmal hat Delia es wirklich zu schlimm getrieben“, sagte Agathe. Delia konnte die Schwester von ihrem Platz aus nicht sehen, aber sie erkannte sie sofort an der hohen, schrillen Stimme.
    „Sie ist eine Plage für jede anständige Familie“, stimmte Anna zu. Sie sprach affektiert und altklug wie immer. Die Mutter hob den Kopf von ihrer Stickerei und blickte zu ihren beiden großen Töchtern hinüber. „Glaubt ihr nicht, dass ihr jetzt genug über Delia geschimpft habt?“ fragte sie sanft. „Vergesst nicht – sie ist eure Schwester ...“
    „Leider!“ sagte Agathe spitz.
    Die Mutter überhörte den Einwurf. „... und sie ist noch ein Kind!“
    „Willst du etwa sagen, dass wir in diesem Alter ebenso unbändig und unmanierlich waren?“ fragte Anna, und Delia konnte sich deutlich vorstellen, wie sie dabei die Augenbrauen hob, um ihrem runden Gesicht einen interessanten Ausdruck zu geben.
    „Nein, das wart ihr nicht“, sagte Madame Körner seufzend. „Ihr habt mir nie Sorgen gemacht!“
    Jetzt kam Agathe ins Bild. Sie kniete sich neben die Mutter auf einen Fußschemel, schmiegte den Kopf mit den kunstvoll frisierten Locken an die Brust der Mutter. „Das werden wir auch nie, nie tun, Mama!“ versprach sie. „Nur bitte, bitte, schick Delia fort!“
    „Das ist ja schon entschieden“, sagte die Mutter traurig.
    „Aber wenn Delia dich anfleht, wenn sie weint und schmeichelt – oh, wie gut sie das kann! – dann wirst du wieder schwankend werden, Mama! Dann wirst du Mitleid mit ihr haben, ihr alles verzeihen!“
    „Delia kommt fort!“ wiederholte die Mutter mit ihrer traurigen, leisen Stimme, doch diesmal war ein fester Unterton darin, der der lauschenden Delia einen kalten Schrecken über den Rücken jagte. „Nicht euretwegen – nicht nur euretwegen! Es ist alles so traurig bei uns geworden, seit Papa fort ist. Ein Kind braucht eine fröhliche, warme, häusliche Atmosphäre, um zu gedeihen!“
    Anna lachte auf, ein böses Lachen, das Delia durch Mark und Bein ging. „Na, gediehen ist sie bisher prächtig“, sagte sie. „Wie ein Unkraut auf der Wiese. Du machst dir viel zu viele Gedanken wegen der Kleinen, Mama!“
    Agathe löste sich von der Mutter und sah ärgerlich zu Anna hinüber. „Rede nicht solchen Unsinn!“ sagte sie scharf. „Mama hat ganz recht! Delia schießt ins Kraut, weil niemand sich recht um sie kümmert. Bei Madame Pützmeier in Hannover wird sie Manieren lernen.“
    „Sie wird unter fröhliche Kinder kommen“, sagte die Mutter. „Das ist für mich das Wichtigste!“
    Agathe wandte sich ihr wieder zu. „Nein, Mama, wichtig bist nur du! Ich kann es nicht mit ansehen, wie Delia dir zu all deinem Leid immer neuen Kummer macht! Als wenn du nicht schon genug Sorgen hättest! Sie ist so egoistisch und rücksichtslos ...“
    „Ihren schrecklichen Mops auf Wachtmeister Schmittke zu hetzen, das war wirklich der Gipfel!“ rief Anna.
    „Du übertreibst“, sagte die Mutter still. „Delia ist keine Verbrecherin; sie ist nur ein wenig wild und unbedacht!“
    „Du nimmst sie schon wieder in Schutz“, sagte Agathe vorwurfsvoll.
    „Muss ich das nicht tun?“ In den schönen Augen der Mutter standen Tränen. „Sie ist doch mein Kind, meine Jüngste, und es ist nicht ihre Schuld, dass sie ohne die strenge Hand des Vaters aufwachsen muss.“
    „Papa hat sie auch immer nur verwöhnt! Er hat sie vorgezogen und verzogen!“ rief Anna. „Papa ist überhaupt an allem schuld! Hätte er doch nur nicht gemeinsame Sache mit diesen schrecklichen Menschen gemacht, die gegen Gesetz und Recht und unseren guten Fürsten waren! Dann hätte er nicht fliehen und uns in Schande zurücklassen müssen ...“
    In diesem Augenblick konnte Delia es nicht länger aushalten. Alles konnte sie ertragen, nur nicht, dass man ihren geliebten Vater angriff. Sie riss die Tür auf und fuhr wie eine Rakete in das gemütliche Wohnzimmer.
    „Vater hat nichts Unrechtes getan!“ schrie sie. „Sag das nicht noch einmal, du!“ Sie fuhr auf die rundliche Anna los, die ganz erschrocken zurückwich. „Er hat für die Freiheit und ein großes deutsches Vaterland gekämpft ... Er ist ein Held und kein Verbrecher!“
    Die Mutter hatte sich als erste gefasst. „Delia“, mahnte sie, „bitte!“
    Aber Delia war nicht mehr zu halten.
    Mit einem wilden Schluchzen warf sie sich ihrer Mutter an die Brust. „Hör nicht auf
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