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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir /
Autoren: Susanna Ernst
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was sie zutiefst erschreckte, mit einer ihr fremden Stimme – der eines Säuglings.
    Amy brauchte ein wenig, um zu realisieren, dass sie das Licht der Welt erblickt hatte.
    Erneut.
    Wie konnte das sein? Sie war ein Baby! Ein hilfloses Neugeborenes. Gerade als Amy zu begreifen begann, durchtrennte man ihre Nabelschnur.
    Das metallene »Klack« und die Berührung der Schere erschreckten sie, doch es tat nicht weh.
    Die Kälte und das Licht überforderten sie. Nichts war klar erkennbar, nur Schatten und unscharfe Konturen nahm sie wahr. Nachdem man den Rest ihrer Nabelschnur abgeklemmt hatte, wischte jemand mit einem weichen Frotteetuch in ihrem Gesicht herum und trocknete danach auch den Rest ihres winzigen Körpers ab. Dann wickelte man sie in eine Decke und legte sie einer Frau in die Arme, die sie küsste und an sich drückte.
    Tränen des Glücks und der Rührung liefen über die Wangen der Frau und tropften warm auf Amys nacktes Ärmchen.
    »Mein Mädchen! Mein süßes kleines Mädchen!« Die sanfte Stimme wurde durch Amys Geschrei übertönt, aber die Frau lächelte unbeirrt auf sie herab. Zunächst konnte Amy auch sie nur unscharf sehen, doch bald schon erkannte sie einige Details.
    Braune Augen und ein zärtliches Lächeln, alles überdimensional groß.
    Amy blinzelte.
    »Tom, komm doch! Schau nur, wie aufgeweckt sie mich ansieht«, rief die Frau.
    Für einen Moment verschwamm das Bild erneut, denn zwischen die Frau und den Säugling schob sich nun ein weiteres Gesicht.
    Als Amy ihre Augen etwas unter Kontrolle gebracht hatte und es schaffte, den etwa tellergroßen, hautfarbenen Fleck vor ihr zu fokussieren, sah sie zum ersten Mal den Mann, der von nun an ihr Vater sein sollte – Tom.
    Dunkelblonde Haare fielen ihm in die Stirn, und auf seiner Nase saß eine Brille mit runden Gläsern. Dahinter schimmerte es Blau. Erneut trafen Tränen auf Amys Arm, als sich ein riesiger Finger nach ihr ausstreckte und über ihre Wange strich.
    Tom schluckte – so laut, dass Amy es hören konnte – und griff dann nach der winzigen Hand. Sein Daumen zitterte, und Amy spürte, wie sich ihre Finger um ihn schlossen.
    »Hallo Julie!«, flüsterte er. »Ich bin dein Papa, kleine Maus.«
    Die Worte hallten in ihrem Kopf wider; die Zärtlichkeit in Toms Stimme ließ sie völlig kalt.
Julie? Nein!
    Das war das erste Mal, dass Amy versuchte zu protestieren, um ihren neuen Eltern verstehen zu geben, was geschehen war.
    »Ich bin nicht eure Julie. Ich heiße Amy. Amy Charles! Und ich habe schon eine Mutter und einen Vater. In Saint Toulouse, da wohne ich nämlich. Bitte bringt mich zurück zu ihnen.«
    All das rief sie ihnen zu. Sie flehte förmlich. Doch nichts von alledem wurde gehört, außer der Panik in ihrer Stimme. Denn das, was über ihre Lippen kam, war lediglich ein weiterer Schrei. So schrill, dass Tom zusammenfuhr.
    Ihr Babykörper verkrampfte sich, sie schrie aus vollem Hals. Je mehr sich die Verzweiflung in Amys Inneren steigerte, umso lauter wurde das Gebrüll des Säuglings.
    »Oh, das junge Fräulein hat aber eine beachtliche Stimme«, hörte sie eine gutmütige Frauenstimme sagen, die jedoch nicht von der Frau, die sie auf die Welt gebracht hatte, zu kommen schien.
    Erneut wurde Amys Bild unscharf, als fleischige Hände das Neugeborene packten und mit sicherem Griff anhoben.
    »Wir werden dich jetzt erst einmal baden und wiegen, kleine Julie, und dann schauen wir, ob du vielleicht schon Hunger hast«, verkündete eine dicke Frau, die Amy an ihre Uromi aus Saint Toulouse erinnerte.
    Die Hebamme ließ sie in ein Becken mit Wasser sinken und wusch den kleinen Körper mit einem Waschlappen. Unter diesen Berührungen, in der Wärme des Wassers, entspannte sich Amy etwas. Schlagartig verstummte das Schreien.
    »Ihre Kleine liebt das Wasser, wie es scheint«, bemerkte die rundliche Frau amüsiert.
    Ja, Amy war schon immer eine Wasserratte gewesen, das stimmte.
    Als die Hebamme sie kurz darauf aus dem Becken zog und die kühle Luft die Haut des Säuglings streifte, brüllte Amy sofort wieder los – als hätte jemand einen Schalter in ihr umgelegt.
    »Nur noch wiegen, dann haben wir es ja, meine Kleine.«
    Der Beruhigungsversuch scheiterte. Amy zuckte ... und brüllte noch lauter, als sie die Kälte von Metall an ihrem Rücken spürte.
    »3.960 Gramm. Ein stolzes Gewicht«, gab die Hebamme, scheinbar völlig unbeeindruckt von dem durchdringenden Gebrüll, zu Protokoll.
    Oh, Gott!, schoss es Amy durch den Kopf.
    Sie wusste,
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