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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir /
Autoren: Susanna Ernst
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besten Arzt der kleinen Stadt, in der sie lebten. Doch sämtliche Untersuchungen, die er an Amy vornahm, blieben ergebnislos.
    Da sich Amy nach wie vor nicht als »Julie« fühlte, musste Kristin nach einiger Grübelei verneinen, als der Kinderarzt fragte, ob die Kleine bei dem Ruf ihres Namens den Kopf in die entsprechende Richtung drehen würde.
    Diese einzige Auffälligkeit in Amys Entwicklung wurde zwar notiert, man maß ihr jedoch keine große Bedeutung bei.
    »Machen Sie sich keine Gedanken, Mrs Kent. Das ist wirklich der frühstmögliche Zeitpunkt, um diese Frage zu stellen. Beobachten Sie Ihre Kleine einfach in den nächsten Wochen, und melden Sie sich, wenn sie in einem Monat noch immer nicht auf ihren Namen reagiert.«
    Kristin war beruhigt, und Amy lebte weiter mit den Erinnerungen, die, das wurde ihr mit der Zeit bewusst, bei ihrem Tod hätten ausgelöscht werden sollen. Doch das war nicht geschehen. Sie hatten Amy nicht verlassen, denn sie hatte sich an ihnen festgeklammert wie ein Ertrinkender an einem Strohhalm; sie hatte ihr altes Leben einfach nicht losgelassen. Und nun steckte sie fest, zwischen diesem und ihrem früheren Dasein. Es wollte ihr einfach nicht gelingen, sich auf dieses neue Leben mit all seinen Chancen einzulassen.
    Ihr Babykörper bot Amy nicht die Möglichkeiten, sich in einer Art auszudrücken, die ihrem geistigen Zustand entsprochen hätte; er hielt sie förmlich gefangen. Und was tun Gefangene, die in Isolation ihre Strafe absitzen? Sie beginnen, ihr Leben Revue passieren zu lassen. Mit nur wenig Abwechslung in ihrem monotonen Alltagsrhythmus gehen sie ihr Leben immer wieder durch, durchleben viele Begebenheiten noch einmal und machen sich im besten Fall klar, was nicht so gut gelaufen ist und was sie verändern werden, wenn sie ihre Zelle eines Tages verlassen.
    Die tägliche Routine eines Babys langweilte Amy furchtbar. Ihr Körper verlangte nach viel Schlaf und sehr häufig nach Kristins Milch. So trank und schlief sie fast den gesamten Tag. Den Rest der Zeit verbrachte sie auf dem Wickeltisch oder auf einer Decke, umgeben von Spielzeugen, die sie nicht im Geringsten interessierten.
    Selbst wenn Amy Interesse geheuchelt hätte, wäre sie körperlich nicht in der Lage gewesen, sich frei zu drehen. Anfangs konnte sie nicht einmal gezielt greifen, was unglaublich frustrierend für sie war.
    Nach und nach beschränkte sie sich immer mehr auf ihre geistigen Fähigkeiten, die unangetastet geblieben waren und von denen niemand etwas wissen konnte. Fähigkeiten, die allein ihr gehörten.
    Vergleichbar mit einem Gefängnisinsassen, tauchte auch Amy wieder und wieder in ihr altes Leben – ihr altes Dasein – ab.
    Sie bereiste die winzige Siedlung mit den weißen Holzhäusern und pflückte einen Strauß Frühlingsblumen im Garten ihres Elternhauses.
    Tagelang spielte sie mit Matty im Sonnenschein und schmuste ausgiebig mit ihren Eltern unter einer rot-blau karierten Wolldecke, die sie stets als ihre »Kuschelhöhle« bezeichnet hatten.
    Amy sah die braunen Augen ihres Vaters und die blauen ihrer Mutter im Licht der Morgensonne strahlen, so voll von Liebe, Wärme und Geborgenheit. Sie waren die einzigen Menschen, die sie jemals Mutter und Vater würde rufen können, so viel stand fest.
    Kristin und Tom hatten zweifellos ihre Plätze in Amys Herzen gefunden. Sie waren großartige Menschen, und Amy fühlte sich auch bei ihnen geborgen. Sie liebte die beiden so, wie ein Kind es tun konnte, das man mit neun Jahren von seinen Eltern weggerissen und dem man neue vor die Nase gesetzt hatte. Mehr war ihr nicht möglich, so leid es ihr auch tat.
    Mit der Zeit entfernte sich Amy zunehmend von Kristin und Tom, umso mehr, je stärker sie ihre früheren Eltern vermisste.
    Tagelang verbrachte sie in ihren Erinnerungen und Vorstellungen von dem, was sie tun würde, wenn es ihr endlich gelingen würde, aus ihrer misslichen Lage zu entkommen. Schließlich versank sie so tief in dieser Welt, die ihr Hoffnung gab und in der sie sich zu Hause fühlte, dass sie nicht einmal merkte, wie sehr sie sich bereits aus der wirklichen Welt, in der sie mittlerweile ein neunmonatiges Baby war, zurückgezogen hatte.
    Ihr, oder besser gesagt Julies kleiner Körper tat weiterhin alles, um seine Bedürfnisse zu stillen – altersgemäß und gut entwickelt. Doch geistig schien die Kleine nicht recht voranzukommen, das wurde immer deutlicher. Andere Babys ihres Alters reagierten längst schon auf ihre Umwelt. Sie erwiderten
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