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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir /
Autoren: Susanna Ernst
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vorsichtig aufzurichten.
    Julie ist aufgestanden und wieder zu uns gekommen. So lautlos, dass ich sie erst bemerke, als sie sich direkt neben meinem rechten Bein auf dem Fußboden niederlässt. Bevor ich bewusst darüber nachdenke, habe ich mich schon zu ihr herabgebeugt.
    »Du spielst wunderschön, Julie«, flüstere ich ihr zu, während ich zaghaft meine Hand auf ihre Schulter lege.
    Nichts.
    Nicht mal die leiseste Reaktion. Fast verwundert mich ihre Körperwärme. Müsste sie nicht kalt sein – kälter zumindest –, so weltentrückt und unwirklich, wie sie erscheint?
    Doch dann, ich will mich gerade wieder aufrichten, geschieht etwas Eigenartiges: Völlig unerwartet dreht Julie ihren Kopf und blickt mir geradewegs in die Augen. Der Ansatz eines Lächelns zuckt um ihre Mundwinkel, und es scheint mir, als würde sie bis tief in mein Innerstes schauen. Sie sieht mich so klar und auf eine unerklärliche Art fordernd an, dass es mich erschreckt. Die Farbe ihrer Augen ist sehr schön – ein helles und doch sanftes Grün –, aber es ist das Licht dahinter, das mich für einen unmessbaren Moment gefangen nimmt . Ihr Blick geht mir durch und durch, er brennt sich förmlich ein. Ich schaffe es nicht, ihm standzuhalten, und richte mich ruckartig auf.
    Sofort verfällt Julie wieder in ihre Starre und beginnt kurz darauf erneut mit ihrem Schaukeln. Mein Herz rast.
    Kristin, die erst jetzt mit Toms Jacke und seinen Schuhen zurückkommt, und ihr Mann, der seit geraumer Zeit verzweifelt versucht, sich aufzusetzen, haben nichts von Julies Blick bemerkt.
    Trotzdem bleibt Kristin wie angewurzelt stehen, als sie ihre Tochter erblickt.
    »Ist Julie ... hat sie ... sich dort hingesetzt?«, stammelt sie.
    Ich sehe an mir herab. »Ja.«
    »Wohin?«, fragt Tom. Der Arme. Gemeinsam helfen wir ihm in eine halbwegs aufrechte Position.
    Dann erst erklärt Kristin ihre Verwunderung. »Julie hat sich neben Mr Andrews gesetzt. Direkt an sein Hosenbein.« Tom wirft seiner Frau einen ungläubigen Blick zu.
    »Ist das so ungewöhnlich?«, hake ich vorsichtig nach. Sofort haften die Blicke beider Augenpaare an mir.
    »Sehr ungewöhnlich«, sagt Tom. »Normalerweise hält sie Abstand. Besonders zu Fremden, aber in der Regel auch zu uns. Körperliche Nähe ist schwierig für Julie.«
    »Aber Sie tragen sie doch«, werfe ich ein.
    »Ja. Eine gewisse Nähe, die sich routinemäßig eingespielt hat, lässt sie zu. Aber sie sucht den körperlichen Kontakt eigentlich nie von sich aus.«
    »Bestimmt war es Zufall«, erwidere ich schulterzuckend. »Schließlich stehe ich genau da, wo sie vorhin gesessen hat.«
    »Hm, mag sein«, murmelt Tom. Kristin sagt nichts. Sie sieht mich noch eine Weile stumm an, bevor sie den Kopf schüttelt, als wolle sie ihn von zu vielen Gedanken befreien. Dann hilft sie ihrem Mann in seine Schuhe.
    Wir stützen Tom von beiden Seiten. Langsam, sehr langsam, und mit vielen Pausen bewegen wir uns zu meinem Auto.
    Es schneit. Schon wieder.
    Genervt schüttele ich mir die Haare aus der Stirn. Sosehr ich den Schnee auch liebe, sosehr hasse ich, was die schmelzenden Flocken mit meinen mühsam geglätteten Locken anstellen. Vor meinem geistigen Auge entsteht das Bild eines preisgekrönten Königspudels. Ich befürchte, ihm in wenigen Minuten wesentlich ähnlicher zu sehen, als mir lieb ist.
    Tom stöhnt auf, als ich den Motor meines alten Ford anlasse und so vorsichtig wie nur irgend möglich anfahre. Seine verkrampfte Körperhaltung und das verbissene Zucken seines Kinns lässt mich Böses ahnen.
    Im Rückspiegel sehe ich, dass Kristin noch lange im Türrahmen steht, bevor sie zurück ins Haus geht, wo sie die nächsten Stunden wohl hoffnungsvoll auf Neuigkeiten von ihrem Mann warten wird.
    Als ich meinen Wagen um die Mittagszeit wieder vor dem kleinen blauen Haus mit den weißen Fensterläden parke, reißt Kristin schon die Beifahrertür auf, kaum dass ich die Handbremse angezogen habe. Strahlend streckt sie Tom ihre Hand entgegen, doch sein Gesicht verheißt nichts Gutes.
    »Kein Grund zur Freude, Schatz«, stellt er missmutig klar, bevor sie überhaupt fragen kann. »Ich habe einen Bandscheibenvorfall und muss die nächsten Wochen liegen. Bin wohl nur knapp an einer OP vorbeigeschlittert.«
    Wieder stützen wir ihn, doch dank der starken Schmerzmittel, die Megan ihm gespritzt hat, kann er sich momentan zumindest einigermaßen bewegen.
    Im Wohnzimmer nimmt er seinen Platz auf dem Sofa ein.
    Mein Blick bleibt an der jungen Frau
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