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Dein Name

Titel: Dein Name
Autoren: Navid Kermani
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freue sich darauf, freue sich riesig, sagte sie wörtlich, ohne daß sie genau erfahren mußte, worauf eigentlich. Ich lächelte ihr schüchtern zu, wenn ich ihr den Korb mit Ciabatta oder den Pfefferstreuer reichte, höflich und ein wenig verlegen, wie ich mit Schauspielern bin, die ich bewundere.
    Im nachhinein halte ich es für möglich, daß sie ebenfalls verlegen war und meine Hochachtung als Distanz wahrnahm, schließlich hatte ich Bücher aufzuweisen, welche auch immer. Das gilt etwas bei Schauspielern, wie ich oft bemerkt habe. Im nachhinein halte ich es für möglich, daß sie neugierig auf mich war, also nicht nur auf die Messe, sondern auf mich, den sie an dem Abend mit der gleichen Aufmerksamkeit beobachtet haben könnte wie ich sie. Unterhalten haben wir uns erst, als nur noch vier übrigblieben in der Runde und wir die Straßenseite wechselten. Bevor sie ins Taxi stieg, stellte sich auch bei ihr das Gefühl ein, bilde ich mir ein, daß nur der Abend zu Ende ist, nicht die Begegnung.
    Die Kurzmitteilung ihres Todes erreichte mich an der Listertalsperre. Aus dem Bergischen Land, wo ich einige Wochen des Sommers verbrachte, rief ich den Schauspieler an, der ihr meines Wissens im Ensemble am nächsten stand, ohne zu ahnen, wie nah. Natürlich bewegt es mich, daß sie zuletzt ein Buch von mir las, den Schönen Neuen Orient – und es ihr gefiel, so sagte sie ihrem Kollegen. Am Ende ist es auch Eitelkeit, die mich daran hindert, über die Kurzmitteilung hinwegzulesen, als wäre nichts geschehen.
    Â 
    Samstag, 8. Juli 2006, 12:32 Uhr, über ihm die Terrasse, vor ihm die Klippe, unter ihm der Golf von Rosas, auf seinem Schoß der Laptop. Im Ferienhaus eingetroffen, wo ihre Cousins und Cousinen bereits warteten, hat die Tochter zum Glück andere Prioritäten als den Vater, der bis gestern abend betäubt war vom Opiat, das er bei Rückenschmerz nimmt. Damit der Nerv rechts neben dem Brustwirbel ihn nicht wieder lahmlegt, erlaubt er sich, ein weiteres Mal zu schwimmen, bevor er sich noch bemüht, auch das zweite Kapitel auf die vorgesehene Länge zu bringen, obwohl ihm nach nur nach 7171 Anschlägen kaum mehr etwas einfällt, so wenig ist ihm auf Erden von Claudia Fenner geblieben.
    Â 
    Je mehr ich über Claudia erfuhr, desto unwirklicher wurde ihre Herkunft. Die Verhältnisse, aus denen sie stammte, waren so geordnet, wie sie mir ganz am Anfang erschienen waren, ich indes bald schon nicht mehr für möglich gehalten hätte. Claudia stammt aus einem Dorf in der Nähe von St. Moritz, die alteingesessene Familie allerdings nicht bäuerlich, sondern Ärzte, Richter, Architekten, wohlhabend, bürgerlich und geachtet. Claudia mit ihrem künstlerischen Beruf und dem unsteten Leben, dazu nach Westdeutschland verzogen, Claudia, die mir so frei und allein schien wie wenige, Claudia war – als geliebter Sonderling freilich – dennoch eingebunden in einen Zusammenhang, der nach der Schilderung ihres Kollegen den Eindruck erstaunlicher Intaktheit macht. Neulich traf ihr Kollege in Österreich jemanden, der nichts mit Theater zu tun hatte; aus einem Grund, an den ich mich nicht erinnere, fanden sie heraus, daß sie beide Claudia gekannt hatten, der andere sie allerdings aus ihrem Dorf bei St. Moritz. Er nannte sie die Fenner Claudia. Nachdem ich sie ganz am Anfang für kreuzbrav, beinah bieder gehalten hatte, gelingt es mir jetzt immer noch nicht, Claudia Fenner in einer Welt anzusiedeln, in der sie die Fenner Claudia hieß. Sie hat ihr Geheimnis.
    Â 
    Man will nicht, daß er so geht, mit gesenktem Kopf, ohne uns anzuschauen, wahrscheinlich mit Tränen nicht der Rührung, vielmehr der Scham und der Wut. Auf dem buchstäblich letzten Meter vor dem Gipfel ist der Held ausgerutscht, nein, peinlicher: ist er ausgeflippt und den Berg herabgestürzt, nein, schmählicher: hinabgekullert, auf dem Hosenboden hinabgerutscht. Niemand hätte für möglich gehalten, daß er es zum zweiten Mal nach oben schafft, wie in jeder Generation höchstens ein Spieler. Er war bespöttelt worden, abgeschrieben, in seinem Verein nicht mehr aufgestellt. Mit dem Viertelfinale gegen Brasilien hatte er sich vom Weltstar in eine mythologische Figur verwandelt. Unter den wenigen anderen Helden der modernen Sage, ob im Fußball oder im Boxsport, rührte Frankreichs Nummer zehn wegen ihrer Scheu und Intelligenz am
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