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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)
Autoren: Javier Marías
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wüßte er, daß es nobel und redlich ist, wenn die Starken immer nachgeben gegenüber den nicht tyrannischen oder nicht schmarotzenden Schwachen, ein heute veralteter Grundsatz, heute sind die Starken gewöhnlich seelenlos und die Schwachen despotisch; er war auch der Beschützer seiner Mutter und womöglich auch meiner, nun, da er mich verbannt und einsam und weit entfernt sah, verwaist nach seinem Empfinden oder Verständnis, wer als Schutzschild fungiert, leidet viel im Leben, auch die Wächter mit ihrem stets offenen Ohr und Auge. Und wer bis zum letzten ein sauberes Spiel spielen will, selbst wenn er kämpft und sein Überleben oder das seiner unverzichtbaren Lieben gefährdet ist, ohne die man auch nicht lebt oder nicht mehr ganz.
    »Und er hat sich noch immer nicht verändert«, sagte ich zu Luisa. »Ich wünschte mir, daß er es nicht täte, aber manchmal auch, daß er es doch tut. Er zieht den kürzeren, so, wie es um die Welt bestellt ist. Ich hatte geglaubt, er würde lernen, mehr auf der Hut zu sein, wenn er in die Schule käme und dort die Gefahr kennenlernen würde, aber nun sind das schon Jahre, und es scheint nicht so zu sein. Manchmal frage ich mich, ob ich nicht ein schlechter Vater bin, weil ich ihn nicht anleite, weil ich ihm nicht beibringe, was gut für ihn ist: Tricks, Kniffe, Einschüchterungen, Vorsichtsmaßnahmen, Klagen; und mehr Egoismus. Man sollte seine Kinder vorbereiten, denke ich. Aber es ist nicht einfach, ihnen das Nötige einzutrichtern, wenn einem das nicht gefällt. Und er ist besser als ich, vorläufig.«
    »Außerdem wäre das in seinem Fall wohl verlorene Liebesmüh«, antwortete Luisa. Und sie stand auf, als hätte sie es eilig. »Ich geh hinunter, bevor sie fortgehen«, sagte sie. Es hatte seinen Grund, daß sie weder ihren Mantel ausgezogen noch die Tüten geleert hatte, sie wußte, daß sie noch nicht zurückgekehrt war. »Ich werfe der jungen Frau beim Hineingehen gewöhnlich ein paar Münzen hin, sie hat eine Schachtel, auch heute hab ich ihr welche hineingeworfen. Aber beim Hinausgehen hat sie mich um etwas gebeten, es ist das erste Mal, daß sie mich um etwas gebeten hat, ich meine, mit Worten, in einem dürftigen, merkwürdigen Spanisch mit einem undefinierbaren Akzent, und sie hat ein paar italienische Ausdrücke hineingemischt. Sie hat mich gebeten, ihr Papiertücher für die Kinder zu kaufen, na ja, diese feuchten, sehr bequem zum Abputzen, die in Streifen aus der Packung kommen. Ich habe nein gesagt, sie solle sie selbst kaufen, ich hätte ihr doch schon Geld gegeben. Und sie hat mir geantwortet: ›Nein, Geld nicht, das Geld nicht.‹ Ich habe darüber nachgedacht, und ich glaube, ich habe es jetzt verstanden. Sie wird das Geld für ihren Mann einnehmen oder für ihre Brüder oder einen Vater, ich weiß nicht, für ihre Männer. Alles, was Geld ist, wird sie sich ohne deren Erlaubnis nicht anzurühren trauen, sie wird nicht eine einzige Ausgabe allein entscheiden können, sie wird es ihnen übergeben müssen, und dann werden sie die Bedürfnisse nach ihrem Gutdünken erfüllen, vielleicht zuerst die eigenen. Sie werden diese Papiertücher für überflüssig halten, für einen Luxus, dafür werden sie ihr nichts geben, sie soll sehen, wie sie zurechtkommt. Aber ich weiß sehr gut, daß sie es nicht sind, diese Kinder sind stundenlang mit ihr da, sie werden ganz wund, wenn sie sie nicht rechtzeitig saubermachen kann. Ich werde sie ihr also kaufen. Mir war das vorher nicht klar, sie verfügt nicht über das, was sie verdient, nicht über einen Cent, deshalb hat sie mich um die Sache selbst gebeten, das Geld nützt ihr nicht. Ich bin gleich wieder da.«
    Als sie nach einer Weile zurückkam, zog sie den Mantel aus. Ich hatte inzwischen die Tüten geleert, alles war an seinem Platz.
    »Warst du rechtzeitig da?« fragte ich. Sie hatte meine Neugier zur Genüge geweckt.
    »Ja, sie bleiben vermutlich bis zum Ladenschluß. Ich bin reingegangen, habe ihr eine Packung gekauft und sie ihr gegeben. Du kannst dir die Freude und Dankbarkeit in ihrem Gesicht nicht vorstellen. Diese junge Frau ist immer sehr dankbar, immer lächelt sie, wenn ich ihr Münzen gebe. Aber dieses Mal war es anders, es war etwas für sie, für ihren Gebrauch und für die Kinder, es war nicht Teil der allgemeinen Einnahmen, das Geld ist gleich und unterscheidet sich nicht, wenn es sich vermischt. Und der ältere Junge hat sich auch sehr gefreut, als er gesehen hat, daß sie sich freut. Mit einem
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