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David und Goliath

David und Goliath

Titel: David und Goliath
Autoren: Malcolm Gladwell
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kündigten zwanzig Gouverneure ähnliche Pläne an, und anderthalb Monate später versprach das Weiße Haus, eigene Programme zur Verkleinerung der Schulklassen auflegen zu wollen. Bis heute glauben 77   Prozent aller Amerikaner, es sei besser, Steuergelder für die Verringerung von Klassenstärken auszugeben als für die Anhebung von Lehrergehältern. Es gibt nicht viel, worauf sich 77   Prozent aller Amerikaner einigen können. 13
    Zu Boomzeiten saßen bis zu 25   Kindern in den Klassenzimmern der Shepaug Valley Middle School. Heute sind es manchmal nur noch 15. Das heißt, die Lehrer können sich besser um jedes einzelne Kind kümmern, und der gesunde Menschenverstand geht davon aus, dass ein Kind umso mehr lernt, je mehr Zeit sich seine Lehrer für es nehmen können. Wenn das stimmt, dann müssten die Kinder heute an der kleinen Mittelschule mehr lernen als früher an der überfüllten Schule. Oder doch nicht?
    Diese Annahme lässt sich ganz einfach überprüfen. In Connecticut gibt es eine ganze Reihe von Schulen wie die von Shepaug Valley. Der Bundesstaat besteht überwiegend aus kleinen Ortschaften mit kleinen Grundschulen, und diese reagieren sensibler auf die Schwankungen von Geburtenzahlen und Immobilienpreisen als größere Ortschaften mit größeren Schulen. Es kann also durchaus passieren, dass in einem Jahr nur eine Handvoll Kinder eingeschult wird und im Jahr darauf wieder vergleichsweise viele. In einer anderen Mittelschule in demselben Bundesstaat entwickelte sich die Zahl der Fünftklässler so:
    [Bild vergrößern]
    Im Jahr 2001 hatte die Schule also 23   Fünftklässler, und im Jahr darauf waren es nur zehn! Ansonsten waren alle Bedingungen dieselben, die Kinder hatten dieselben Lehrer und dieselbe Direktorin, sie benutzten dieselben Schulbücher und saßen in denselben Schulräumen. Das einzige, was sich veränderte, war die Zahl der Schüler in der fünften Klasse. Wenn die Kinder in der kleineren Klasse bessere Noten bekommen hätten als die Kinder in den größeren Klassen, dann hätten wir mit einiger Sicherheit sagen können, dass die Klassengröße der entscheidende Faktor war.
    Das nennt man ein »natürliches Experiment«. Meist erfinden Wissenschaftler eigene Experimente, um ihre Annahmen zu überprüfen. Aber in seltenen Fällen bieten sich in der wirklichen Welt Möglichkeiten, dieselbe Theorie zu überprüfen – und diese natürlichen Experimente sind den künstlichen in vieler Hinsicht überlegen. Was passiert also, wenn man die Leistungen von großen und kleinen Jahrgängen anhand dieses natürlichen Experiments vergleicht?
    Genau das hat die Wirtschaftswissenschaftlerin Caroline Hoxby getan und sich jede einzelne Grundschule in Connecticut angesehen. Und gefunden hat sie – gar nichts. »Viele Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass eine Reduzierung der Klassenstärken keine statistisch signifikanten Veränderungen bewirkt«, erklärt sie. »Was nicht heißt, dass sie gar nichts bewirkt, sondern nur, dass diese Veränderungen sich nicht in den Daten niederschlagen. In einigen Schätzungen liegen die Veränderungen mehr oder weniger bei null, bei mir lagen sie sogar exakt bei null. Eine Reduzierung der Klassenstärken bewirkt also rein gar nichts.« 14
    Hoxbys Untersuchung ist natürlich nur eine von vielen. Doch das Ergebnis zieht sich wie ein roter Faden durch alle Studien, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Klassengröße und schulischen Leistungen beschäftigen – und davon wurden in den vergangenen Jahrzehnten Hunderte durchgeführt. Etwa 15   Prozent aller Untersuchungen finden statistisch signifikante Beweise, dass Kinder in kleinen Klassen besser abschneiden, und ungefähr genauso viele Untersuchungen wollen herausgefunden haben, dass sie schlechter abschneiden. Etwa 20   Prozent kommen zu demselben Schluss wie Hoxby: Die Auswirkung der Klassenstärke ist gleich null. Der Rest findet Beweise für beide Hypothesen, die jedoch nicht ausreichen, um daraus statistisch relevante Schlüsse zu ziehen. 15 Die meisten Untersuchungen enden mit einer Schlussfolgerung, die sich ungefähr so liest:
    » In vier Ländern – Australien, Hongkong, Schottland und den Vereinigten Staaten – kamen wir nur zu sehr ungenauen Schätzungen, die keinerlei Rückschlüsse auf die Auswirkungen der Klassenstärke zulassen. 16 In zwei Ländern – Griechenland und Island – gibt es Hinweise auf nicht triviale positive Auswirkungen einer Reduzierung der Klassenstärke. Nur in Frankreich
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