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DavBen-StaderDie

Titel: DavBen-StaderDie
Autoren: Unbekannt
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ich, warum Vika diesen Weg gewählt hatte. Der Halbmond beschien die sich ausdehnenden Wälder und Felder, alle überzogen mit einer glitzernden Schicht aus Eis und Schnee.
    »Schau«, sagte sie und deutete nach Norden. »Siehst du es?«
    Weit hinter dem Tal unter uns, jenseits der Hügel, die den Blick auf den fernen Horizont versperrten, stieg eine schmale Lichtsäule in den Himmel, so hell, dass sie hoch droben eine Wolke erfasste. Der mächtige Strahl begann sich zu bewegen, ein glänzender Säbel, der die Nacht durchschnitt, und mir wurde klar, dass ich auf einen Suchscheinwerfer blickte.
    »Das ist Piter«, verkündete sie uns. »Wenn ihr euch auf dem Heimweg verlauft, ist das euer Polarstern.«
    Ich sah sie an. »Kommst du denn nicht mit?«
    »Außerhalb von Tschudowo gibt es eine Partisanengruppe. Ich kenne den Anführer. Ich will versuchen, zu ihnen zu stoßen.«
    »Aber der Oberst gibt uns bestimmt eine Lebensmittelkarte für dich, wenn du mitkommst. Ich sage ihm, dass du uns geholfen hast und dass ...«
    Sie lächelte und spuckte auf den Boden. »Scheiß auf die Lebensmittelkarte. Piter ist nicht meine Stadt. Ich werde hier draußen gebraucht.«
    »Lass dich nicht umbringen«, sagte Kolja. »Ich glaube, der Knabe da ist in dich verliebt.«
    »Bleibt weg von den Straßen. Und seid vorsichtig, wenn ihr in die Stadt hineingeht. Wir haben überall Minen gelegt.«
    Kolja streckte die behandschuhte Hand aus. Vika verdrehte die Augen angesichts dieser Förmlichkeit, schüttelte sie aber trotzdem. »Ich hoffe, wir sehen uns wieder«, sagte er zu ihr. »In Berlin.«
    Sie lächelte und wandte sich mir zu. Ich wusste, dass ich sie nie wiedersehen würde. Als sie den Blick in meinem Gesicht sah, trat etwas Menschliches in ihre wilden blauen Augen. Sie legte die behandschuhte Hand an meine Wange.
    »Schau nicht so traurig drein. Du hast mir heute das Leben gerettet.«
    Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte Angst, den Mund aufzumachen, weil ich sonst etwas Rührseliges und Blödes gesagt hätte oder, noch schlimmer, zu heulen angefangen hätte. Das letzte Mal hatte ich vor fünf Jahren geweint, aber ich hatte ja auch noch nie eine Nacht wie diese erlebt, und ich war überzeugt, dass diese Scharfschützin aus Archangelsk das einzige Mädchen war, das ich je lieben würde.
    Ihre Hand lag noch immer an meiner Wange. »Sag mir deinen Nachnamen.«
    »Beniow.«
    »Ich finde dich, Ljowa Beniow. Ich brauche nur den Namen.« Sie beugte sich vor und küsste mich auf den Mund. Ihre Lippen waren kalt, rau vom Winterwind, und falls die Mystiker recht haben und wir dazu verdammt sind, unser elendes Leben ad infinitum zu wiederholen, dann werde ich wenigstens immer zu diesem Kuss zurückkehren.
    Und dann ging sie fort, den Kopf gesenkt, die Kaninchenfellmütze tief in die Stirn gezogen, das Kinn in den Schal gedrückt, die kleine Gestalt in dem viel zu großen Tarnanzug wie ein Zwerg neben den uralten Kiefern um sie herum. Ich wusste, dass sie sich nicht nach mir umblicken würde, aber ich sah ihr trotzdem nach, bis sie verschwunden war.
    »Komm«, sagte Kolja und legte den Arm um meine Schultern. »Wir müssen auf eine Hochzeit.«
    25
    Der Schnee war tagsüber geschmolzen und nachts wieder gefroren, sodass sich eine tückische dünne Eisschicht gebildet hatte, die bei jedem Schritt, den wir machten, einbrach. Mein Finger tat so weh, dass ich kaum an etwas anderes denken konnte. Wir gingen weiter, weil wir weitergehen mussten, weil wir schon zu weit gekommen waren, um nun stehen zu bleiben, aber ich weiß nicht, woher die Kraft für jeden Schritt kam. Es gibt einen Ort jenseits des Hungers, jenseits der Erschöpfung, an dem die Zeit stillzustehen scheint und die Qualen des Körpers fast nichts mehr mit dir zu tun haben.
    Nichts davon traf auf Kolja zu. Er hatte so wenig gegessen wie ich, obgleich er letzte Nacht im Geräteschuppen bei den Analphabeten besser geschlafen hatte als ich, so behaglich, als läge er in einem Federbett im Grandhotel Europa. Während ich mich mit gesenktem Kopf Richtung Norden schleppte, besah sich Kolja die mondbeschienene Landschaft wie ein Künstler beim Spaziergang. Wir schienen ganz Russland für uns zu haben. Stundenlang sahen wir nichts, was auf Menschen hindeutete, abgesehen von den verlassenen Feldern.
    Alle paar Minuten griff er unter den Mantel, um sich zu vergewissern, dass sein Pullover noch unter den Hosengürtel gestopft war und die Eierschachtel nicht herausfallen konnte.
    »Habe ich dir
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