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Das zerbrochene Siegel - Roman

Das zerbrochene Siegel - Roman

Titel: Das zerbrochene Siegel - Roman
Autoren: Susanne Eder
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Er dachte an den Münzbeutel, den er bei dem Leichnam gefunden hatte. Niemand, der seinen Verstand beisammen hatte, schleppte nach Einbruch der Dunkelheit so viel Silber mit sich durch die Gassen einer Stadt. War er um ihretwillen getötet worden? Doch wenn der dunkelhäutige Mann, der ihn auf dem Marktplatz einen Dieb und Lügner genannt hatte, Ulbert wegen des Silbers nachts auflauerte und niederstach, warum hatte er ihm den Münzbeutel dann nicht abgenommen? War Ulbert am Ende selbst ein Dieb und hatte die Münzen gestohlen?
    Bandolfs Ankunft vor der Pforte zum Stift St. Andreas setzte seinen Spekulationen ein Ende.
     
    Eine hohe Mauer, hinter der der Glockenturm der Kirche aufragte, umgab das Stift und verlieh ihm klösterliche Abgeschiedenheit.
    Bandolf klopfte an die Pforte.
    Er musste sich in Geduld fassen, bis er schlurfende Schritte hinter dem Tor hörte. Der Bruder, der die Pforte nur einen Spalt breit öffnete, schien Mühe mit seinem Gleichgewicht zu haben. Er schwankte, seine Kutte roch nach schalem Wein, und er blinzelte den Burggrafen so schläfrig wie misstrauisch an.
    Der Propst sei unabkömmlich, der Kämmerer nicht zu sprechen, und der Dekan befinde sich nicht wohl, informierte er Bandolf, bevor der verdutzte Burggraf noch sein Anliegen vorbringen konnte. Ob der Herr wohl mit dem Cellerar vorliebnehmen wolle?
    »Ich bin nicht gekommen, um mit dem Koch zu plaudern«, brummte Bandolf. Das Stift St. Andreas genoss nicht den besten Ruf in der Stadt, und er fragte sich, ob der betrübliche Zustand des Pförtners wohl sein üblicher war oder nur ein Überbleibsel des gestrigen Frühlingsfestes.

    Laut fragte er: »Wie ich hörte, hat der Edelmann Ulbert von Flonheim hier Quartier genommen?«
    Der Bruder schien nicht gewillt, den Burggrafen einzulassen. Er verzog das Gesicht und dachte augenscheinlich angestrengt nach. Doch schließlich nickte er. »Ihr habt recht. Ich kann Euch aber nicht sagen, ob er auch im Haus ist.«
    »Er ist ganz bestimmt nicht im Haus«, knurrte Bandolf. »Ich will mit seiner Gemahlin sprechen.«
    Der Pförtner feixte. Bandolf starrte ihn finster an, und das weinselige Grinsen verschwand.
    »Um genau zu sein, kann ich Euch auch nicht sagen, ob seine Gemahlin im Haus ist. Womöglich hat sie die Messe in St. Magnus besucht und ist noch nicht zurückgekehrt?«
    »Dann seht doch nach«, empfahl ihm der Burggraf.
    »Warum kommt Ihr nicht später wieder?«, schlug der Pförtner vor und wollte die Tür offensichtlich vor Bandolfs Nase schließen. Endgültig erzürnt schob der Burggraf rasch seinen Stiefel in den Spalt und warf sein Gewicht gegen die Pforte.
    Bevor der Bruder sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte und ihm hinterherprotestierte, eilte der Burggraf bereits über den ummauerten Hof, der zwischen dem Tor und der Stiftskirche lag. Links neben der Kirche fand er einen Torbogen, der am Kräutergarten vorbei zur Pforte ins Kapitelhaus führte. In den mager bestückten Beeten grub ein Laienbruder die nasse Erde um und gab Bandolf bereitwillig Auskunft, wo er das Quartier von Ulbert von Flonheim finden würde.
     
    In der Zelle, die man Ulbert und seiner Gemahlin zugewiesen hatte, herrschte ein heilloses Durcheinander. Leibwäsche, Schleier und Hemden lagen über der Bettstatt verstreut. Becher, Schalen und anderer Hausrat stapelten sich
auf einem unordentlichen Haufen neben einer geöffneten Truhe.
    Ulberts Gemahlin stand mit einem Arm voller Tücher über die Truhe gebeugt und kehrte Bandolf den Rücken zu. Offenbar war sie den Tafelfreuden zugeneigt, denn das reich bestickte Gewand, das sie trug, spannte um ihre fülligen Hüften.
    »Stell den Korb mit dem Kind auf die Bank, und dann geh ins Refektorium und sieh zu, dass du etwas Genießbares für mich auftreibst«, befahl sie, ohne sich umzudrehen. »Ich bin sicher, der Cellerar kredenzt den Stiftsherren Besseres als nur einen trockenen Kanten Brot, den man mir in der Früh zugemutet hat.«
    Bandolf lächelte. »Davon bin ich überzeugt.«
    Annalinde ließ den Stapel Wäsche fallen und wirbelte herum.
    »Bei allen Heiligen!«, keuchte sie. »Wer seid Ihr?«
    Ihr rundliches Gesicht war gerötet, und sie schaute ihn gereizt an, doch mochte der Ausdruck auch an den dichten schwarzen Augenbrauen liegen, die über ihrer flachen Nase zusammenstießen.
    »Verzeiht, wenn ich Euch erschreckt habe«, sagte Bandolf mit einer angedeuteten Verbeugung. »Ich bin Bandolf von Leyen, der Burggraf der Stadt Worms.«
    »Der Burggraf«,
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