Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht

Titel: Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Schwert hing über seinem Rücken, genau zwischen ihnen beiden, nun wieder so leblos wie eine gewöhnliche Waffe. Sie hätte nur danach greifen müssen.
    » Mondkin d «, sagte er, » d u musst das Schwert nehmen und dir umhängen. Wenn es dich als Besitzerin akzeptiert, kann es dich vielleicht heilen. «
    » Nicht eine Wunde, die es … selbst geschlagen ha t «, flüsterte sie.
    » Trotzdem – versuch es. « Er nahm eine Hand von den Zügeln und begann umständlich, sich das Schwert am Rückengurt über den Kopf zu ziehen. Er spürte, wie Mondkind es an sich nahm, damit hantierte und sich wenig später wieder an ihn lehnte. Jetzt, da Silberdorn nicht mehr zwischen ihnen war, fühlte er sie noch deutlicher, so als fügten sich ihre Körper zu einem einzigen zusammen.
    Lange Zeit herrschte abermals Schweigen. Er hoffte, dass sie wieder eingeschlafen war und dies ein Zeichen dafür war, dass Silberdorns Heilkräfte wirksam wurden . Dann und wann überkam ihn die eisige Furcht, sie könnte dort hinten gestorben sein, aber wenn er sich konzentrierte, konnte er ihren Herzschlag spüren, das sanfte Wummern in ihrer Brust, und dann wusste er, dass sie noch bei ihm war, dass sie lebte und noch nicht alles verloren war.
    Einmal, als sie etwas murmelte, das er nicht verstand, fragte er: » Weißt du, wohin uns der Kranich bringt? «
    Er spürte ihren Versuch eines Nickens an seiner Schu l ter. » Himmelsberg e «, murmelte sie. » Habe ihm … befohlen, uns … « Sie verstummte, setzte abermals an: » Müssen die Dongtian erreichen … die Heiligen Grotten der Himmelsberge … solange der Aether geschwächt ist. Sind dort vorerst … sicher. «
    Die Sonne ging unter, ein lodernder Feuerball links von ihnen im Westen. Einmal mehr schlug die Tageshitze der Wüste in Kälte um. Als Niccolo zurückblickte, war der Himmel hinter ihm bereits so dunkel, dass Guo Lao nicht mehr zu sehen war.
    Die letzten Strahlen streuten Glut über die Einöde und fielen auf eine Kette schartiger Spitzen, so zerklüftet und steil, dass sie im Rotgelb des Sonnenaufgangs wie erstarrte Flammen auss a hen. So hell reflektierte kein Fels das Licht. Was sie dort vor sich sahen, in einem absurden, unwirklichen Widerspruch zur Wüste, waren schneebedeckte Berggipfel.
    » Mondkind! « Er nahm eine Hand vom Zügel und berührte ihre Rechte an seiner Hüfte. Ihre schlanken Finger kamen ihm noch dünner vor, beinahe knochig. Sie waren entsetzlich kalt. » Siehst du das? «
    Sie hob die Wange von seiner Schulter, aber ihr Kopf sank sofort wieder zurück. » J a «, sagte sie mit der leisen Melodie eines ersterbenden Lächelns, » d as ist das Tien -S han-Gebirge – die Himmelsberge. «
    Bald brach endgültig die Nacht herein, und das Licht des Mondes – aethergelb gefärbt und unrein – reichte nicht mehr aus, die fernen Gipfel den Schatten zu entreißen.
    Plötzlich wuchs Schwärze wie eine himmelhohe Mauer vor ihnen empor, ein kolossaler Wall aus Finsternis, in der Niccolo erst ganz allmählich Unregelmäßigkeiten ausmachte. Da waren Felstürme, Schwindel erregende Gesimse und Hänge, turmartige Steinstrukturen, mächtige Buckel und scharfkantige Grate. Und darüber, dahinter, ohne jede Tiefe und seltsam flach in der Dunkelheit – Gipfel und knochenbleiche Gletscher.
    * * *
    Aus der Kälte der Wüstennacht glitten sie hinauf in die Eisluft des Hochgebirges.
    » Niccolo! «
    Mondkinds Stimme war so schwach wie zuvor, keine Spur von Heilung oder nur dem Hauch einer Besserung . Einen Moment lang konnte er an nichts anderes denken, ehe ihm bewusst wurde, dass ihr Ruf ein Alarm war.
    » Er ist jetzt ganz na h «, stöhnte sie.
    Er schaute über die Schulter, sah aber nur den Fächer aus Mondkinds flatterndem Haar, durchwoben von weißen Seide n bahnen. » Wie nah? «, fragte er.
    » Ich … spüre ihn. «
    Verzweifelt hieb er dem Kranich die Fersen in die Flanken. Es tat ihm gleich darauf leid – der Vogel gab seit Stunden, ja seit Tagen sein Bestes –, aber vor Müdigkeit und Angst um Mon d kind hatte Niccolo Mühe, klar zu denken.
    S ie raunte wieder etwas in jener fremden, rätselhaften Sprache, in der sie schon zuvor zu dem Tier gesprochen hatte. Niccolo glaubte, dass es im fauchenden Gegenwind nicht bis zum Kranich vorgedrungen war, doch mit einem Mal schlugen seine Schwingen schneller, der Vogel stieg auf und schoss über einen Bergrücken hinweg. Gleich dahinter öffnete sich ein lang gestrecktes Tal, durch das sich ein schmutzig grauer Gletsche r
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher