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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14
Autoren: Émile Zola
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Malerei gesehen: roh, kraß, mit grellen Tönen, die verletzten wie ein Rollkutscherfluch, den man an der Tür eines Wirtshauses zu hören bekommt. Sie schlug die Augen nieder, wurde jedoch von einem zur Wand gekehrten Bild angezogen, von dem großen Bild, an dem der Maler arbeitete und das er jeden Abend an die Wand schob, um es am nächsten Morgen mit der Ungetrübtheit des ersten raschen Blicks besser beurteilen zu können. Was mochte dieses Bild verbergen, da man es nicht einmal zu zeigen wagte? Und quer durch das geräumige Zimmer zog sich die Bahn brennenden Sonnenscheins, der, ohne durch den kleinsten Vorhang gemildert zu werden, wie flüssiges Gold auf alle jene Möbeltrümmer strömte, deren unbekümmertes Elend er noch hervorhob.
    Claude fand schließlich das Schweigen drückend. Er wollte eine kurze Bemerkung machen, ganz gleich, was für eine, weil er höflich sein und sie vor allem von der Pose ablenken wollte. Aber er mochte noch so sehr suchen, ihm fiel nur folgende Frage ein:
    »Wie heißen Sie?«
    Sie schlug die Augen auf, die sie geschlossen hatte, als habe der Schlaf sie wieder übermannt.
    »Christine.«
    Da wunderte er sich, daß auch er seinen Namen noch nicht gesagt hatte. Seit gestern abend waren sie beide hier dicht nebeneinander und kannten sich nicht.
    »Ich heiße Claude.«
    Und da er sie in diesem Augenblick anschaute, sah er, daß sie in ein hübsches Lachen ausbrach.
    Das war die freudige Unbesonnenheit eines großen, noch kindlichen Mädchens. Sie fand diesen verspäteten Namensaustausch komisch. Dann amüsierte sie ein anderer Gedanke:
    »Sieh mal einer an! Claude, Christine – fängt beides mit demselben Buchstaben an.«
    Das Schweigen sank wieder herab.
    Er blinzelte mit den Lidern, vergaß sich, fühlte sich am Ende mit seiner Phantasie. Aber er glaubte an ihr ein ungeduldiges Unbehagen zu bemerken, und in der entsetzlichen Angst, sie könnte sich bewegen, fing er, um sie zu beschäftigen, auf gut Glück wieder an:
    »Es ist ein bißchen warm.«
    Dieses Mal unterdrückte sie ihr Lachen, diese angeborene Fröhlichkeit, die wiederauflebte und wider ihren Willen losbrach. Die Wärme wurde so stark, daß sie sich im Bett wie in einem Bad fühlte, mit ihrer feuchten, erblassenden Haut, die die milchige Blässe der Kamelien hatte.
    »Ja, ein bißchen warm«, antwortete sie ernst, während ihre Augen heiterer blickten.
    Da sagte Claude abschließend mit seiner biederen Miene:
    »Das kommt von der Sonne, die hier hereinscheint. Aber, ach was, das tut gut so, richtig viel Sonne auf die Haut … Hören Sie, heut nacht hätten wir das brauchen können unter der Tür.«
    Beide prusteten los, und er, der entzückt war, endlich ein Gesprächsthema gefunden zu haben, fragte sie nach ihrem Erlebnis, aber ohne Neugier, weil er sich im Grunde wenig darum scherte, die wirkliche Wahrheit zu erfahren, und einzig darauf aus war, die Sitzung zu verlängern.
    Schlicht erzählte Christine in ein paar Worten, was sich zugetragen hatte. Gestern früh war sie in Clermont abgefahren, um sich nach Paris zu begeben, wo sie als Vorleserin bei der Witwe eines Generals, bei Madame Vanzade, einer sehr reichen alten Dame, die in Passy wohnte, in Stellung gehen wollte. Fahrplanmäßig sollte der Zug um neun Uhr zehn eintreffen, und für alles war Vorkehrung getroffen, eine Kammerzofe sollte sie erwarten, man hatte sogar brieflich ein Erkennungszeichen vereinbart, eine graue Feder an ihrem schwarzen Hut. Aber da war ihr Zug kurz hinter Nevers auf einen Güterzug gestoßen, dessen entgleiste und zerbrochene Wagen die Strecke versperrten. Darauf hatte es lauter Scherereien und Verspätungen gegeben, zunächst endloses Warten in den stillstehenden Wagen, dann hatten sie notgedrungen diese Wagen verlassen müssen, das Gepäck war dort zurückgeblieben, und die Reisenden waren gezwungen, drei Kilometer zu Fuß zurückzulegen, um zu einem Bahnhof zu gelangen, wo man sich entschlossen hatte, einen Rettungszug zusammenzustellen. Zwei Stunden waren verloren, und noch zwei weitere Stunden gingen in dem Durcheinander verloren, das der Unfall auf der ganzen Strecke verursachte; so daß man mit vier Stunden Verspätung, erst um ein Uhr morgens, auf dem Bahnhof eintraf.
    »Pech!« unterbrach sie Claude, immer noch ungläubig, jedoch wankend geworden, überrascht, wie leicht sich die verwickelten Zufälle dieser Geschichte erklärten. »Und natürlich hat niemand mehr auf Sie gewartet?«
    Tatsächlich hatte Christine Frau Vanzades
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