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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14
Autoren: Émile Zola
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Roheit zu schämen, und er schwieg verlegen, ließ sie sich ein wenig beruhigen; dann fing er mit sehr sanfter Stimme wieder an:
    »Spaß beiseite, da Sie das ärgert, wollen wir nicht mehr davon reden … Aber wenn Sie wüßten! Ich habe da eine Gestalt auf meinem Bild, mit der ich überhaupt nicht vorankomme, und Sie paßten so gut an diese besonders markante Stelle! Wenn es um diese verdammte Malerei geht, würde ich Vater und Mutter umbringen. Nicht wahr, Sie nehmen es mir nicht übel … Und sehen Sie mal, wenn Sie nett wären, würden Sie mir ein paar Minuten schenken. Nein, nein, bleiben Sie doch ruhig! Nicht den Oberkörper, ich brauche den Oberkörper nicht! Den Kopf, nichts weiter als den Kopf! Wenn ich zumindest den Kopf zu Ende zeichnen könnte! – Um Gottes willen, seien Sie so nett und legen Sie Ihren Arm wieder so, wie er vorhin lag, und ich wäre Ihnen dankbar, sehen Sie, oh, dankbar mein Leben lang!«
    Jetzt flehte er sie an, und erregt von seinem starken Verlangen, dem Verlangen des Künstlers, bewegte er kläglich seinen Bleistift. Übrigens hatte er sich nicht vom Fleck gerührt, hockte immer noch auf dem niedrigen Stuhl, fern von ihr.
    Da traute sie sich und hob ihr wieder friedvolles Gesicht aus den Kissen. Was konnte sie denn tun? Sie war ihm auf Gnade und Ungnade ausgeliefert, und er sah so unglücklich aus! Jedoch sie zögerte kurz, empfand ein letztes Unbehagen. Und langsam brachte sie, ohne ein Wort zu sagen, ihren nackten Arm heraus, sie schob ihn wiederum unter ihren Kopf und achtete dabei sorgfältig darauf, daß sie mit der anderen, verborgen bleibenden Hand die rings um ihren Hals festgestopfte Decke nicht losließ.
    »Ach, wie gut Sie sind! – Ich werde mich beeilen, Sie sind sofort frei.«
    Er hatte sich über seine Zeichnung gebeugt, er warf ihr noch jene klaren Blicke eines Malers zu, für den das Weib verschwunden ist und der nur noch das Modell sieht. Anfangs war sie wieder leicht errötet; das Gefühl, daß ihr Arm nackt war, dieses kleine Stückchen ihrer selbst, das sie unbefangen bei einem Ball hätte zeigen können, erfüllte sie hier mit Verwirrung. Dann kam ihr dieser Bursche so vernünftig vor, daß sie sich beruhigte; ihre Wangen wurden wieder kühl, ihr Mund entspannte sich in einem unbestimmten, vertrauensvollen Lächeln. Und zwischen ihren halbgeschlossenen Lidern hindurch musterte sie ihn nun ihrerseits. Wie hatte er sie gestern abend in Schrecken versetzt mit seinem starken Bart, seinem mächtigen Kopf, seinem aufgeregten Gebaren! Er war jedoch nicht häßlich, sie entdeckte auf dem Grunde seiner braunen Augen eine große Zärtlichkeit, während seine Nase sie in Erstaunen versetzte, eine zarte Frauennase, die verloren wirkte in dem struppigen Haar über seinen Lippen. Ihn schüttelte ein leises Zittern voller nervöser Unruhe, eine ständige Leidenschaft, die den Bleistift am Ende seiner schlanken Finger mit Leben zu erfüllen schien und über die sie sehr gerührt war, ohne zu wissen warum. Das konnte kein böser Mensch sein, er war wohl nur aus lauter Schüchternheit so grob. Alles das analysierte sie nicht sehr gut, aber sie fühlte es, sie machte es sich bequem wie bei einem lieben Freund.
    Allerdings war sie über das Atelier immer noch ein wenig verstört. Sie warf einige vorsichtige Blicke in den Raum und war entgeistert über eine solche Unordnung und eine solche Liederlichkeit. Vor dem Ofen häufte sich noch die Asche vom letzten Winter. Außer dem Bett, dem kleinen Waschtisch und dem Diwan waren an Möbelstücken nur noch ein aus den Fugen gegangener alter Eichenschrank und ein großer Fichtenholztisch vorhanden, der über und über bedeckt war mit Haarpinseln, Farben, schmutzigen Tellern und einem Spirituskocher, auf dem eine mit Fadennudeln beschmierte Kasserolle stehengeblieben war. Stühle mit zerrissenem Strohgeflecht standen in einem heillosen Durcheinander inmitten der wackeligen Staffeleien. In der Nähe des Diwans lag die Kerze von gestern abend auf dem Fußboden in einer Ecke herum, wo wohl nur einmal im Monat ausgefegt wurde; und nur die Kuckucksuhr, eine riesige, mit roten Blüten bemalte Kuckucksuhr, wirkte froh und sauber mit ihrem hallenden Ticktack. Aber was sie vor allem entsetzte, das waren die an den Wänden hängenden Entwürfe ohne Rahmen, eine dichte Woge von Entwürfen, die bis zum Fußboden herabreichte, wo sie sich zu einer Lawine durcheinander hingeworfener bemalter Leinwand anhäuften. Niemals hatte sie eine so furchtbare
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