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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14
Autoren: Émile Zola
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mal, du hast nicht richtig gefrühstückt, denn du arbeitest ja schon … Geh runter und iß ein Kotelett, ich warte auf dich.« Bei dem Gedanken, Zeit zu verlieren, entrüstete sich Claude.
    »Aber ich habe doch gefrühstückt, guck in die Kasserolle! – Und außerdem siehst du, daß ein Brotkanten übriggeblieben ist. Den werde ich essen. Los, los, setz dich richtig hin, Faulpelz!« Rasch nahm er wieder seine Palette, er packte seine Pinsel und fügte hinzu: »Dubuche kommt uns heute abend abholen, nicht wahr?«
    »Ja, gegen fünf Uhr.«
    »Na schön! Das ist ausgezeichnet, wir gehen dann gleich essen … Bist du endlich soweit? Die Hand mehr nach links, den Kopf weiter vorbeugen.«
    Nachdem Sandoz die Kissen richtig hingelegt, hatte er sich in der gewünschten Haltung auf dem Diwan niedergelassen. Er kehrte Claude den Rücken zu, aber die Unterhaltung ging nichtsdestoweniger noch eine Weile weiter, denn er hatte an diesem Morgen einen Brief aus Plassans erhalten, aus der kleinen Stadt in der Provence9, wo der Maler und er sich in der achten Klasse kennengelernt hatten, als sie ihre kurzen Hosen auf den Bänken des städtischen Gymnasiums abwetzten. Dann verstummten beide. Der eine arbeitete, und die Welt war für ihn vergessen, der andere döste vor sich hin, in der schläfrigen Erschöpfung, die einen befällt, wenn man sich längere Zeit nicht rühren darf.
    Im Alter von neun Jahren war Claude das Glück widerfahren, aus Paris fortzukommen und in den Winkel der Provence zurückzukehren, wo er geboren war. Seine Mutter, eine brave Wäscherin, die von dem Faulpelz, seinem Vater, sitzengelassen worden war, hatte soeben einen tüchtigen Arbeiter geheiratet, der wie toll in ihre schöne Blondinenhaut verliebt war. Aber trotz beider Arbeitseifer kamen sie nicht mit dem Geld aus. Deshalb waren sie von Herzen gern darauf eingangen, als ein alter Herr von dort unten aufgetaucht war und sie um Claude gebeten hatte, den er bei sich daheim aufs Gymnasium gehen lassen wollte: die großzügige Schrulle eines Sonderlings, eines Gemäldeliebhabers, den die von dem Knirps einst zusammengeklecksten Männerchen sehr beeindruckt hatten. Und bis zur Unterprima, also sieben Jahre lang, war Claude in Südfrankreich geblieben, zunächst als Internatsschüler, dann als Stadtschüler, der bei seinem Gönner wohnte. Eines Morgens hatte man den alten Herrn, quer über seinem Bett liegend, wie vom Blitz getroffen, tot aufgefunden.
    Er hinterließ dem jungen Mann testamentarisch ein Vermögen, das ihm tausend Francs Jahreszinsen einbrachte und über das er nach Vollendung seines fünfundzwanzigsten Lebensjahres frei verfügen konnte. Claude, den die Liebe zur Malerei bereits in Fieber versetzte, verließ sofort das Gymnasium, ohne daß er auch nur den Versuch unternehmen wollte, sein Bakkalaureatsexamen10 abzulegen, und eilte nach Paris, wohin ihm sein Freund Sandoz vorausgegangen war.
    Auf dem Gymnasium von Plassans hatte es von der achten Klasse an die drei Unzertrennlichen gegeben, wie man sie nannte: Claude Lantier, Pierre Sandoz und Louis Dubuche. Obwohl sie von ganz verschiedener Herkunft, ganz entgegengesetzte Naturen waren, lediglich im selben Jahr in einigen Monaten Abstand geboren, fühlten sie sich sofort einander für immerdar verbunden, zueinander hingezogen durch die geheime Verwandtschaft, die noch unbestimmte Qual gemeinsamen Ehrgeizes, das Erwachen eines überlegenen Verstandes inmitten der rohen Horde abscheulicher Pennäler, von denen sie verprügelt wurden. Der Vater von Sandoz, ein Spanier, der wegen politischer Scherereien nach Frankreich geflohen war, hatte in der Nähe von Plassans eine Papierfabrik eingerichtet, in der von ihm erfundene neue Maschinen liefen; dann war er, verbittert, von der Bosheit der Einheimischen gehetzt, gestorben und hatte seine Witwe in einer so verwickelten geschäftlichen Lage mit einer Reihe so dunkler Prozesse zurückgelassen, daß das ganze Vermögen bei dem Zusammenbruch drauf gegangen war; die Mutter, eine Frau aus der Bourgogne11, die sich von ihrem Groll gegen die Provenzalen überwältigen ließ und an einer langsam fortschreitenden Lähmung litt, an der sie ebenfalls den Provenzalen die Schuld gab, war mit ihrem Sohn nach Paris geflohen; und der Sohn unterhielt sie nun mit seinem dürftigen Einkommen, während in seinem Hirn der Gedanke an literarischen Ruhm spukte. Was Dubuche betraf, so war er der älteste Sohn einer Bäckerin in Plassans, wurde von dieser sehr herben, sehr
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