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Das weiße Krokodil

Das weiße Krokodil

Titel: Das weiße Krokodil
Autoren: C. C. Bergius
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für das weiße Krokodil, für das er bereits einen beachtlichen Berg von Resten zusammengetragen habe, erhoffe er sich sehr gute Zeiten. Lediglich um die merkwürdig veränderten Affen, die seit dem Besuch schon beim geringsten Anlaß kopflos flüchteten, sei er ernstlich besorgt. Er habe jedoch bereits darüber nachgedacht, wie er ihre verständliche Angst vertreiben und das alte Vertrauensverhältnis wiederherstellen könne, und wenn ihm das gelinge, würden die Ausflügler künftighin gewiß kein Interesse mehr daran haben, sich lange hinter der Pagode aufzuhalten.
    »Aber es wird zeitweilig sehr laut werden«, fügte er nachdenklich hinzu. »So laut, daß sich selbst der unten am Verkaufsstand stehende Yen-sun die Ohren zuhalten wird. Und dann werden er und sein übler Freund schon dafür sorgen, daß niemand mehr meinen für sakrale Umwanderungen geschaffenen Weg betritt.«
    Tie-ties Plan war verblüffend einfach. Er nahm am nächsten Morgen zwei der aufgesammelten Bier- und Juicedosen und ging mit ihnen hinter die Pagode, wo er sie eine Weile kräftig gegeneinanderschlug und schließlich zwischen die Bäume warf, auf denen die Affen hockten. Dann kehrte er zurück und holte zwei weitere Dosen, mit denen er wiederum mächtig klapperte, bevor er sie fortwarf. Und als er zum drittenmal erschien, da war er nicht mehr der einzige, der blechernen Radau verursachte. Die gelehrigen Makaken hatten ihn verstanden und waren von dem herrlichen Spektakel so begeistert, daß sie ihm die folgenden Dosen förmlich aus der Hand rissen. Und als sein Vorrat erschöpft war, hatte er ein Orchester in die Welt gesetzt, dessen Lärm eine Garantie dafür bot, daß kein Ausflügler mehr die Lust verspüren würde, sich freiwillig hinter die Pagode zu begeben.
    Damit begannen für Tie-tie freilich höchst unangenehme Stunden. Er ertrug sie jedoch gerne, weil er sich sagte, daß der Eifer der Affen mit der Zeit erlahmen und nur in Augenblicken Wiederaufleben werde, in denen sie in ihrer Ruhe gestört würden.
    Seine Vermutung bestätigte sich, sein Vorgehen aber blieb eine Verzweiflungstat. Denn wie sehr er sich in den nächsten Wochen und Monaten auch bemühte, geduldig zu ertragen, was ihm zugemutet wurde, zumeist war er am Ende seiner Kraft, wenn er nach der erzwungenen ›Begrüßung‹ der Gäste, die in der Regel turbulent und ähnlich albern wie beim ersten Mal verlief, seine Kammer aufsuchte, um sich im Gebet zu erholen.
    Nicht minder schwerfiel es ihm, nach Abfahrt der Ausflügler den zurückgelassenen Unrat zu beseitigen. Gewiß, es gab Tage, die ihn mit vielem versöhnten, Tage, an denen sich jeder zuvorkommend zeigte und es niemandem einfiel, über ihn zu lachen oder sich über ihn lustig zu machen. Bezeichnenderweise ließen so geartete Menschen auch nicht das Geringste liegen. Das kam jedoch so selten vor, daß es Tie-tie wie ein Wunder anmutete.
    Am traurigsten aber war er darüber, daß das weiße Krokodil, um dessentwillen er sich selbst verleugnete und entwürdigende Arbeiten erledigte, kaum noch an das Ufer kam. Die schönen Zeiten, da er ihm täglich eine Geschichte erzählt hatte, waren dahin. Die Sandelholz-Pagode war zu einem Rummelplatz geworden. Ihren Tempel besuchte man wie ein Raritätenkabinett. Die Himmelsstufen symbolisierende und zu innerer Einkehr auffordernde Steintreppe war zu einem Picknick-Platz degradiert. Der einstmals verträumt anmutende See wurde nicht mehr von Wasserrosen, sondern von Booten mit Außenbordmotoren belebt. Die Windglöckchen an den Pagodendächern waren für gutes Geld ›davongeflogen‹. Die Ruhe war einem Wirbel gewichen, der kleine Kostbarkeiten in fremde Taschen fegte und erhabene Statuen der Lächerlichkeit preisgab.
    Wahrhaftig, der greise Tie-tie wurde einer Prüfung unterzogen, wie sie schwerer nicht sein konnte. Es gab Tage, an denen der Kummer ihn überwältigte und Zweifel an der Richtigkeit seines Ausharrens aufkommen ließ. Es gab Stunden, in denen die Säuberungsarbeiten ihn so anstrengten, daß sein geschwächtes Herz den Dienst nahezu versagte. Es gab Minuten, in denen über seine Wangen Tränen rannen, deren er sich nicht erwehren konnte.
    Es waren jedoch nicht körperliche Schmerzen, die ihn übermannten. Er weinte über mutwillige Beschädigungen, die er immer erneut an der Pagode und im Inneren des Tempels feststellen mußte. Unbegreiflich war es ihm, daß Menschen Gefallen daran fanden, Wände zu bekritzeln, Mörtel abzuschlagen, Steine auszubrechen,
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