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Das Weihnachten des Mr Scrooge

Das Weihnachten des Mr Scrooge

Titel: Das Weihnachten des Mr Scrooge
Autoren: Charles Dickens
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Augenblick ihr dunkles Gewand wie eine Schwinge vor ihm aus und enthüllte, als sie es wegzog, ein taghelles Zimmer, in dem sich eine Mutter mit ihren Kindern aufhielt.
    Sie wartete auf jemanden, und zwar mit ängstlicher Spannung, denn sie schritt im Zimmer auf und nieder, erbebte bei jedem Geräusch, blickte aus dem Fenster, schaute nach der Uhr, versuchte vergebens weiterzunähen und konnte kaum die Stimmen der Kinder bei ihrem Spiel ertragen.
    Endlich ließ sich das lang ersehnte Pochen vernehmen. Sie
eilte zur Tür, ihrem Gatten entgegen, einem Mann, dessen Antlitz bekümmert und niedergeschlagen aussah, obwohl er noch jung war. Ein seltsamer Ausdruck lag jetzt darin, eine Art ernste Freude, deren er sich schämte und die er niederzukämpfen suchte.
    Er setzte sich zum Mahl nieder, das man für ihn auf dem Herd zurückgestellt hatte, und als ihn die Frau schüchtern fragte – freilich erst nach langem Schweigen –, was es Neues gebe, schien er verlegen, was er antworten solle.
    »Steht es gut oder schlecht?« fragte sie, um ihm die Antwort leichter zu machen.
    »Schlecht!« erwiderte er.
    »Sind wir ganz ruiniert?«
    »Nein, Karoline. Es besteht noch Hoffnung.«
    »Wenn er nachgibt«, sagte sie erstaunt, »ist Hoffnung! Nichts ist hoffnungslos, wenn sich ein solches Wunder ereignet hat.«
    »Nachzugeben ist es für ihn zu spät«, antwortete ihr Gatte. »Er ist tot.«
    Sie war ein mildes, geduldiges Geschöpf, wenn ihr Gesicht nicht trog, aber sie war in innerster Seele dankbar, als sie das hörte, und gestand es auch mit gefalteten Händen. Schon im nächsten Augenblick bat sie um Vergebung und war betreten, aber ihr erster Gedanke hatte die Regung ihres Herzens enthalten.
    »Was mir das halb betrunkene Weib, von dem ich dir gestern erzählte, sagte, als ich versuchte, ihn zu sprechen und einen Aufschub von einer Woche zu erlangen, und was ich für eine leere Ausrede hielt, um mich abzuschütteln, stellte sich als völlig wahr heraus. Er war damals nicht nur sehr krank, sondern lag im Sterben.«
    »Auf wen wird unsere Schuld übergehen?«
    »Ich weiß es nicht. Aber bis dahin werden wir das Geld
beschafft haben, und wenn nicht, so wäre es doch ein ausgemachtes Mißgeschick, an seinem Nachfolger einen ebenso unerbittlichen Gläubiger zu finden. Wir können heute nacht ruhigen Herzens schlafen, Karoline.«
    Ja. Sie mochten es beschönigen, wie sie wollten, ihre Herzen waren leichter. Die Gesichter der Kinder, die sich schweigend herzudrängten, um zu hören, was sie so wenig verstanden, hellten sich auf, und das ganze Haus wurde glücklicher durch den Tod dieses Mannes. Das einzige durch diesen Vorfall erweckte Gefühl, das der Geist Scrooge zeigen konnte, war ein Gefühl der Freude.
    »Laß mich irgendeine zarte Empfindung sehen, die mit einem Todesfall zusammenhängt«, sprach Scrooge, »sonst wird mir jenes dunkle Gemach, das wir soeben verlassen haben, immer vor Augen stehen.«
    Der Geist führte ihn durch mehrere Straßen, die ihm gut bekannt waren, und im Vorübergehen hielt Scrooge da und dort Ausschau nach sich selbst, aber nirgends war er zu entdecken. Sie traten in das Haus des armen Bob Cratchit, in die Wohnung, die Scrooge schon früher besucht hatte, und fanden Mutter und Kinder ums Feuer sitzen.
    Stille. Tiefe Stille. Die lärmenden Cratchits saßen starr wie Bildsäulen in einer Ecke versammelt und blickten zu Peter auf, der ein Buch vor sich hatte. Mutter und Töchter nähten. Aber alle waren sie still!
    »Und er nahm ein Kind und stellte es in ihre Mitte.«
    Wo hatte Scrooge diese Worte schon einmal gehört? Er hatte sie doch nicht geträumt! Der Knabe mußte sie gelesen haben, als er und der Geist die Schwelle überschritten. Warum las er nicht weiter?
    Die Mutter legte ihre Arbeit auf den Tisch und hob die Hände vor ihr Gesicht.
    »Die Farbe tut meinen Augen weh«, sprach sie.
    Die Farbe? Ach, armer Tiny Tim!
    »Jetzt sind sie wieder frischer«, sprach Cratchits Weib dann; »das Kerzenlicht schwächt sie so, und ich möchte dem Vater, wenn er heimkommt, nicht um die Welt trübe Augen zeigen. Es muß schon bald seine Zeit sein.«
    »Fast schon vorüber«, meinte Peter und klappte sein Buch zu. »Aber ich finde, Mutter, er ist diese letzten paar Abende langsamer gegangen als sonst.«
    Sie waren wieder sehr still. Endlich sagte sie mit fester, heiterer Stimme, die nur ein einziges Mal wankte: »Ja, ich habe ihn … ich habe ihn mit Tiny Tim auf den Schultern sehr rasch gehen sehen.«
    »Ich
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