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Das war eine schöne Reise

Das war eine schöne Reise

Titel: Das war eine schöne Reise
Autoren: Horst Biernath
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von ihnen stürzte Frau Lobedanz entgegen und entriß ihr die kleine Tasche mit den Reiseutensilien, als könne er es nicht verantworten, daß sie sich mit solchen Lasten abschleppe. Ein anderer nahm Otto Lobedanz die beiden schweren Koffer ab, mit einem Diensteifer, der Otto befürchten ließ, der junge Mann werde sich abends vor dem Schlafengehen bei ihm einfinden, um ihm die Schnürsenkel zu lösen und ihm aus der Hose zu helfen.
    Sie hatten im vierten Wagen das Abteil 11, und in diesem Abteil die Plätze 66 und 71.
    »Ausgerechnet die Plätze an der Tür«, nörgelte Frau Lobedanz, aber der nette Page versicherte ihr, daß das die besten Plätze wären, denn wenn man sich ein wenig im Gang die Beine vertreten wolle, brauche man niemand zu belästigen.
    »Ich heiße übrigens Erich, gnädige Frau. Wenn Sie irgendwelche Wünsche haben, so brauchen Sie nur nach mir zu rufen.« Er verstaute die Koffer in der Gepäcknische über dem Gang und verschwand, um sich um neue Fahrgäste zu kümmern.
    »Wirklich eine flotte Bedienung«, sagte Frau Lobedanz anerkennend und ließ sich auf der grau überzogenen Polsterbank nieder, »und man sitzt auch recht bequem. Nun ja, die Fahrt dauert ja auch lange genug. Hoffentlich kriegen wir nette Leute ins Abteil. Wenn ich an den Dicken in der Trambahn denke...!«
    Otto Lobedanz sah seine Mutter mit einem langen Blick an: »Ich bitte dich nur um eines, Mama: befördere den Vater nicht gleich zum Oberpostdirektor!«
    »Was soll das heißen?«
    »Das weißt du ganz genau. Und ich meine auch nur, wir sollten uns gleich darüber einigen, als was du in Italien aufzutreten gedenkst. Nicht, daß es zwischen uns peinliche Widersprüche gibt...«
    »Otto, was soll das? Was sind das für Töne mir gegenüber? Und überhaupt, wenn dein Vater länger gelebt hätte, wäre er ganz gewiß Inspektor geworden!«
    »Vielleicht — aber ganz gewiß nicht Postminister...«
    »Habe ich das jemals behauptet?«
    »Bis jetzt noch nicht. Aber du hast ihn ganz schön avancieren lassen. Das letzte Mal bis zum Oberpostrat...«
    Frau Lobedanz schnupfte auf: »Bleibe du einmal als schutzlose Briefträgerswitwe zurück!« sagte sie mit einem kleinen Schluchzen in der Stimme.
    »Das dürfte technisch nicht gut möglich sein«, murmelte er.
    »Aber mit einem Titel, da spritzt alles um dich herum und bricht sich das Kreuz ab. So ist eben die Welt, in der wir leben. Aber was weißt du schon davon? — Und überhaupt haben alle Leute zu deinem Vater nie anders als >Herr Postrat< gesagt!«
    Otto Lobedanz schloß für eine kurze Sekunde die Augen und faltete ergeben die Hände in seinem Schoß: »Also bitte, wenn du dich als Postratswitwe wohler fühlst... Aber wenn es dir etwa einfallen sollte, aus mir einen Diplom-Ingenieur zu machen...!«
    Frau Lobedanz sah ihren Sohn an, als hätte er sie auf einen Gedanken gebracht, der einer Erwägung wert sei. »Was du mir alles zutraust!« schmollte sie. »Aber technischer Zeichner, hm...« Und sie bewegte die Lippen, als schmecke sie die Rahmsoße zum falschen Hasenbraten ab, »schließlich hast du auf Ingenieur studiert. Oder hast du etwa nicht?«
    »Und dann gingen die Gelder aus, und wir waren froh, als ich in der Maschinenfabrik von Fiedler im Konstruktionsbüro als Volontär anfangen durfte. Mit sechzig Mark im Monat. Also hör schon auf und laß mich aus dem Spiel!«
    »Es ist ein Jammer, daß dir jeder Sinn fürs Höhere abgeht«, seufzte Frau Lobedanz und blickte auf, denn ein Schatten verdunkelte die Tür, der Schatten einer jungen Dame, die ihren hellen Reisemantel auf dem Sitz Nr. 67 neben Frau Lobedanz warf und dem Pagen Erich abwinkte, der auch ihren kleinen Handkoffer in der Gepäckablage verstauen wollte.
    »Den lassen Sie mir, junger Mann, das Köfferchen brauche ich nämlich. Und erzählen Sie mir keine Opern, denn das ist meine vierte Feriale-Reise.«
    Sie nickte Frau Lobedanz und Otto einen kurzen Gruß zu: »Mein Name ist Sonntag«, sagte sie munter, »Maria Sonntag. Reisen Sie zum erstenmal mit Feriale?«
    »Jjjjja...«, stotterte Otto Lobedanz.
    »Ich war das erste Mal auch kühl bis an den Hals«, erklärte die junge Dame, »aber glauben Sie mir, Reserviertheit lohnt sich nicht. Spätestens nach zwei Stunden kennt in diesem Abteil jeder jeden so genau wie sich selbst.«
    »Ich heiße Lobedanz — und das ist meine Mutter.«
    »Ach nee...!« sagte Fräulein Sonntag und ließ den Blick kurz zwischen Mutter und Sohn hin- und herwandern, »angenehm, angenehm.
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