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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
Autoren: Shani Boianjiu
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Mutter nachts telefoniert, ganz egal wie spät, höre ich jedes Wort, sogar, wenn sie flüstert, und ich höre, wenn sie weint.
    »Bist du sicher?«, schreien wir in unsere Handys.
    Ja, Tali Feldman ist ganz sicher. Ihre Mutter erlaubt ihr keine Party, wenn das Haus leer ist, weil sie Angst hat, die Freunde ihrer Tochter machen noch mehr von ihrem rumänischen Teeservice kaputt, und Noams Mutter erlaubt ihr keine Party, wenn das Haus leer ist, weil sie Angst hat, ihre Tochter macht das in sie gesetzte Vertrauen kaputt, und Ninas Mutter erlaubt ihr keine Party, wenn das Haus leer ist, weil sie Angst hat, die Freunde ihrer Tochter machen ihrer Tochter das Jungfernhäutchen kaputt, weil sie eben ein bisschen religiös ist.
    Außerdem finden wir raus, dass Lea eine Party schmeißt, und dass es bei ihr leer ist, weil ihre Eltern sich im Hotel drüben in der Nachbarstadt massieren lassen, aber ihre Mutter sagt, ich darf nicht eingeladen werden, weil ich beim letzten Mal ein Gefäß für Maronen zerschmissen habe, und Lea ihr erzählt hat, dass ich es war. Aber eigentlich liegt es daran, dass Avishag und ich die einzigen sind, die keine krasse Angst vor Lea haben, weil wir schon mit ihr gespielt haben, bevor sie krass beliebt wurde, das war, als sie noch mit den Leuten gespielt und nicht die Leute wie Spielzeug behandelt hat.
    Ich habe Dan an dem Tag auf der Bank alle meine Geheimnisse erzählt. Dass Avishag und ich noch mit Puppen spielten, war eins davon. Das hielten wir seit der fünften Klasse sogar vor Lea geheim. Eigentlich war es viel besser, in der siebten Klasse mit Puppen zu spielen, weil wir Einfälle hatten, die uns nicht gekommen wären, als wir jünger waren: Die Puppen konnten gelben Eismatsch auskotzen und eine andere Puppe da reintunken, bevor sie verbrannt wurden. Sie konnten ein Mittel gegen Krebs finden oder anfangen zu rauchen oder Jura studieren. Das war megalustig.
    Als Avishag herausfand, dass ich ihrem Bruder von den Puppen erzählt hatte, kam sie morgens um acht in die Klasse marschiert und öffnete meinen Rucksack, und vor den Augen aller anderen schmiss sie mein Sandwich auf den Boden und trampelte darauf herum und schrie dabei. Die Tomaten spritzten gelbe und rote Tropfen auf den Boden, als sie darauf herumsprang.
    »Ekelhaft«, schrie sie. »Er ist mein Bruder, du kranke, kranke Schlampe. Du hast einen Freund! Für wen hältst du dich eigentlich? Dich kenn’ ich nicht mehr.« Auch damals fluchte sie nur selten laut.
    Eine Zeit lang taten wir so, als würden wir uns wirklich nicht kennen, weil es wirklich so war, das sah ich auch so, aber ich wusste nicht mehr, ob ich überhaupt irgendwen kannte. Emuna setzte sich in der Klasse neben mich auf Avishags Platz. Avishag saß jetzt neben Noam.
    Dann ging Dan zur Armee. Das war ganz normal, denn er war achtzehn, und es war so normal, dass Avishag und ich vergaßen, was sie über ihn gesagt hatte. Aber ich weiß, sie glaubt, mich gar nicht zu kennen. Das werd ich immer wissen.
    »Benutzen Panzerfaust-Kinder die kleinen Panzerfäuste, die keinen Granatwerfer brauchen?«, fragt Avishag, bevor wir vom Handymast weggehen.
    »Nein«, sage ich. »Was du meinst, sind die sowjetischen Handgranaten, die auch Panzerfaust genannt werden, aber im ›Frieden-für-Galiläa‹-Krieg wurden die schon nicht mehr verwendet. Du denkst an die Vergangenheit. Du kannst die ganzen Definitionen nachher bei mir abschreiben.«
    In meinem Zimmer
    Nachdem wir erfolglos einen Ort zum Partymachen gesucht haben, gehen wir gegen vier Uhr nachmittags vom Hügel mit dem Handymast zurück nach Hause. Normalerweise ist meine Mutter um fünf von der Arbeit zurück. Bis sie kommt, gucke ich den israelischen Kinderkanal: Chiquititas und Wonder Shoes und The Surprise Garden . Alles Sendungen, für die selbst Avishag mich zu alt finden würde. Als ich das Auto meiner Mutter höre, stürze ich in mein Zimmer, lege mich aufs Bett und starre an die Decke. Sie klopft nicht, um mich zu fragen, wie es mir geht, und ich bin froh darüber, weil ich einfach meine Ruhe haben will.
    Ich höre sie am Telefon flüstern. Ungefähr eine Stunde lang starre ich an die Decke, vielleicht auch zwei, und stelle mir vor, ich wäre gezwungen, mein Leben lang an diese Decke zu starren. Wie wäre das? Was für Details würden mir auffallen?, frage ich mich, und die Stimme in meinem Kopf klingt auf einmal wie die unserer Geschichtslehrerin Mira, Avishags Mutter, aber dann ist es meine Mutter, und sie steht in meinem
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