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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
Autoren: Shani Boianjiu
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oder sonstwo auf der Welt verraten würde, käme sie vor ein Kriegsgericht, weil sie das Leben von über hundert Juden aufs Spiel gesetzt hätte.
    Alle dachten, die Geiseln würden sterben oder durch andere Geiseln freigetauscht. Niemand glaubte an die Möglichkeit einer Rettungsaktion. Bis auf meine Mutter schien jeder den Freund einer Tante oder den Lehrer eines Bruders zu kennen, der unter den Geiseln war. Hätte auch nur ein besorgter Soldat seiner besorgten Mutter ein Wort gesagt, hätte gleich das ganze Land gewusst, dass die Retter in der Luft waren, auch die Araber im Land. Sie hatten Angst, selbst wenn das Flugzeug schon am Himmel wäre, könnte es noch von irgendjemandem abgeschossen werden. Sie wussten auch nicht, dass Dora schon tot in einem Kofferraum lag. Sie dachten, wenn sie es nur schafften, die Operation geheim zu halten, dann könnten sie auch sie aus dem Krankenhaus retten.
    Aber sie brauchten Sandwichs. Die Geiseln hatten seit Tagen nichts gegessen. Erst wollten sie sie in einem Feldlazarett auf den Boden bringen, das die Armee in Kenia gebaut hatte, aber die Geiseln waren alle unverletzt, also hatte es keinen Sinn, dort eine Landung zu riskieren.
    Der Mann am Telefon sagte meiner Mutter, sie solle dem Koch auftragen, so viele Sandwichs wie möglich zu machen.
    »Was denn für Sandwichs?«, fragte meine Mutter, und der Mann wurde ha-ha-wütend auf sie. Ha-ha-wütend, aber in Wirklichkeit erleichtert, weil er dachte, er würde zusätzlich zu den Juden, die sowieso sterben würden, weitere Männer in den Tod schicken, und hier bat ihn so ein süßes Mädchen, dessen Stimme gerade erst von den ersten Zigaretten aufgeraut worden war und das noch unter dem Schock der Jugend stand, um seinen kulinarischen Rat.
    »Das überlasse ich Ihnen«, sagte der Mann am Telefon. »Ich bin Leutnant, und Sie sind eine Soldatin, die mich bei Sandwichs um Rat fragt. Das ist Ihre Aufgabe.«
    Meine Mutter hatte noch zwanzig Minuten bis zu ihrem Schichtende. Sie zeichnete noch zwei Gesichter. Sie dachte an ihr Lieblings-Sandwich. Pastrami mit Mayo und roter Paprika. Die Zutaten gab es auf dem Stützpunkt nicht, denn das alles war nur so gut, weil es so schnell schlecht wurde.
    Am Ende waren die Anweisungen für die Zubereitung der Sandwichs für die befreiten Geiseln die schwierigste Aufgabe, die meine Mutter in ihrem ganzen Leben zu bewältigen hatte. Sie hätte sich das nie im Leben zugetraut und hätte es auch nie getan, und weil es so unüberwindlich schien, wusste sie, dass sie es wieder schaffen konnte, wenn sie es einmal schaffte, und so wurde es ihr zur Gewohnheit.
    Meine Mutter musste ans Mitgefühl appellieren.
    »Es geht um einen Gefangenenaustausch, stimmt’s? Sie landen mit den palästinensischen Gefangenen hier, um auf unserem Stützpunkt aufzutanken, bevor sie nach Uganda weiterfliegen, und ich soll ihnen Sandwichs machen«, sagte der Koch zu meiner Mutter. Er versuchte nicht mal, sie auf den Hals zu küssen.
    »Ich darf dir nicht verraten, worum es geht. Der Mann am roten Telefon hat es mir verboten.«
    »Am roten Telefon? Dann muss es um einen Gefangenenaustausch gehen. Und ich soll ihnen Sandwichs machen?«
    »Ich darf dir nicht sagen, worum es geht. Aber du musst Sandwichs machen. Sehr viele Sandwichs. So viele Sandwichs, wie du kannst.«
    »Denen werd’ ich Sandwichs machen. Ich spuck’ da rein. Ich piss’ da rein. Ich bestreich’ sie mit Rattengift.«
    Meine Mutter war ratlos. Ihr fiel ein, dass sie die Tochter eines langsamen Mannes war. Ihr fiel ein, was für eine tiefe Befriedigung sie empfunden hatte, als die Rasierklinge in ihrer Kindheit zu tief in den Arm ihrer Schwester eingedrungen war. Sie fuhr sich mit dem Finger über den Nasenrücken, und ihr fiel ein, dass er gerade war und dass sie schön war.
    »Bitte mach nichts Schlimmes mit den Sandwichs.«
    »Warum nicht?«
    »Weil du das nicht darfst; ich lasse es nicht zu«, sagte meine Mutter. Manchmal sagte sie gern Sachen, die eigentlich unmöglich waren, als wären sie für sie doch möglich. »Du darfst das nicht«, sagte sie.
    Wäre sie die Tochter eines Kampffliegers gewesen, und hätte sie nicht zwölf Jahre lang eine gebrochene Nase gehabt, hätte sie dem Koch vielleicht so oft gesagt, dass er das nicht dürfte, bis es funktioniert hätte. Da das alles aber nicht so war, musste sie mehr sagen. Sie musste an sein Mitgefühl appellieren, nicht weil sie wollte, sondern weil die Umstände ihr keine andere Wahl ließen.
    »Was ist, wenn
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