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Das verwunschene Tal

Das verwunschene Tal

Titel: Das verwunschene Tal
Autoren: Hans Kneifel
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groß wie Kinderköpfe, und auch dieses Angriffswerkzeug versank wieder im Wasser.
    Dann kam das Boot frei.
    Die Spinnenbestie war darunter hinweggetaucht. Der Sturm fuhr in das Segel und ließ eine massive Eisplatte auf Mythors Schultern kippen. Er fühlte einen Schlag wie von einem aufschwingenden Torflügel und schüttelte die Splitter aus dem Fell, das die Wucht abgefangen hatte. Ein riesiges Auge tauchte an Backbord auf, und schon zuckte in einer unbewussten Bewegung das Schwert herunter. Die Spitze bohrte sich eineinhalb Ellen tief in die gallertartige Masse.
    Das Spinnenuntier tauchte, aber die aufgerissenen Kiefer schlitzten an Backbord die Planken fast von ganz vorn bis hinten auf.
    »Wir sind durch!« schrie Nottr wie ein Wahnsinniger. Kalathee hatte seit langem zu schreien aufgehört, und Sadagar schien ohnmächtig geworden zu sein.
    Schnell nahm das Boot wieder Fahrt auf.
    Mythor wusste, dass der Tod haarscharf an ihnen vorbeigegangen war. Aber er blieb wachsam. Seine Augen suchten die Wasserfläche vor dem Boot nach anderen Bestien ab, nach den verräterischen Wirbeln und Luftblasen. Aber er konnte nichts erkennen. Weit davon entfernt, Genugtuung oder Freude zu verspüren, wandte er sich um und hob das Schwert. Es glühte schwach in der Dunkelheit, stärker aber als jemals zuvor.
    Sadagar meldete sich jetzt: »Kalathee leidet. Sie friert. Ich meine, sie stirbt, wenn nicht etwas geschieht. Komm nach hinten, Mythor!«
    »Sobald ich kann.«
    Mythor stand im Bug und versuchte, jede einzelne größere Welle im Auge zu behalten. Inzwischen hatte der Mond einen Teil seiner nächtlichen Wanderung zurückgelegt. Das Licht fiel in einem anderen Winkel auf die tobenden Wellen. Sie waren nicht höher, aber auch nicht weniger drohend als vor Stunden. Und der Wind nahm eher noch an Stärke zu.
    Dort vorn?
    Mythor wischte über seine Augen und vergaß, den rechten Handschuh wieder anzulegen. »Bei meinen unbekannten Ahnen!« stieß er hervor. »Was ist das?«
    Während das Boot nach Nordosten, eher Ostnordost trieb, fegte der Sturm den Himmel leer. Selbst eine Handbreit über dem Horizont war jeder Stern deutlich zu erkennen. Voraus sah Mythor einen langgezogenen dunklen Streifen, der die Sterne verdunkelte. Und rechts davon bewegte sich das Wasser um eine große, zerrissen aussehende Masse. Aber nirgendwo um das Schiff gab es Zeichen dafür, dass eine weitere Spinnenbestie auftauchte - kein Wellengekräusel, keinen Schaum, keine Luftblasen. Der riesige Gegenstand mochte ein umgestürztes Schiff sein, oder etwas anderes trieb mit der Meeresdrift in nördliche Richtung und würde vielleicht den Kurs des Lahmen Seevogels kreuzen.
    Mythor nickte und stapfte zum Heck zurück. Er beugte sich über Kalathee. Sie hatte die Augen geschlossen und wimmerte leise.
    Sadagar sagte: »Sie ist krank. Es ist nicht nur die Kälte.«
    Als Mythor die Decken und Felle zurückschlug, krachten und knirschten sie. Der Atem der jungen Frau ging stoßweise und fauchend, und als ihr Mythor die Hand auf die Stirn legte, erschrak er. Ihre Haut war glühend heiß. Kein Zweifel, die Frau fieberte stark. Zwischen den einzelnen Atemstößen hustete sie lange und qualvoll.
    »Das sieht sehr ernst aus«, sagte Mythor, und in einem plötzlichen Entschluss legte er das Schwert auf den Körper Kalathees. Nottr warf Blicke in seine Richtung, die Mythor aber nicht bemerkte. Dann schlug er die Felle wieder zurück und streichelte Kalathees Wange.
    »Wir können ihr nicht anders helfen. Halte sie fest, Steinmann, und decke sie gut zu! Es wird noch kälter werden.«
    »Natürlich, Mythor. Kann das dort schon das Land sein?«
    »Nichts ist unmöglich«, antwortete Mythor und zwängte seine Finger wieder in den Handschuh.
    Er stellte sich neben Nottr auf das leicht erhöhte Heck des Bootes. Von hier gab es einen geringfügig besseren Blick. Das Schwert würde Kalathee nicht schaden und ihr sicher irgendwie wärmend helfen.
    »Sind das Trümmer?« fragte Nottr und deutete auf den Gegenstand, der ebenso eisverkrustet war wie alles andere, was sich in dieser Nacht auf dem Wasser bewegte. Das Boot und dieses schweigende Ding dort trieben auf einen Punkt zu, den sie schätzungsweise zur gleichen Zeit passieren würden. Mehr und mehr begann das Eis in vielfältigen Formen den Seevogel zu beherrschen. Seltsame Formen wuchsen überall, wo der Sturm das eiskalte Wasser hin peitschte .
    Mythor hielt das Steuer fest und ließ seine Augen nicht von der herantreibenden
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