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Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Michael Peinkofer
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Gebote stand.
    Noch einmal betrachtete er sie, wie sie in ihrer Ecke lag, die toten Augen auf ihn gerichtet, mit einem Blick voll stummer Anklage. Dann wandte er sich ab und sah sich in der Kammer um.
    »Wo bist du?«, fragte er leise. »Bist du hier?«
    Einen Augenblick lang geschah nichts.
    Dann schwang die Tür eines hölzernen Schranks auf, und zwei dünne Stimmen fragten: »Mutter …?«
    Soho, London
Mai 1825
    Verstohlen blickte er über die Schulter. Die Adresse, die man ihm genannt hatte, lag im Herzen von Soho, einem Viertel, in dem Überfluss und Mangel, Tugend und Laster, Licht und Dunkelheit eng beisammenlagen und nicht selten nahtlos ineinander übergingen. Und in dem gewöhnlich niemand Fragen stellte, die nicht gestellt werden sollten.
    Der Mann klopfte an.
    Dreimal.
    Dann eine kurze Pause.
    Dann vier weitere Klopfzeichen.
    Das vereinbarte Signal.
    Hinter dem massiven, eisengebänderten Eichenholz waren dumpfe Schritte zu hören, dann wurde der Türspion geöffnet. Ein Augenpaar erschien, das den Besucher musterte. Er nannte die Losung, die man ihm übermittelt hatte, ärgerte sich darüber, dass er dabei stotterte wie ein Schuljunge, der ein Gedicht aufsagen musste. Irritiert nahm er wahr, dass ihm das Herz bis zum Hals schlug, als der Riegel zurückgezogen wurde und die Tür sich vor ihm öffnete. Tatsächlich wurde ihm erst in diesem Augenblick bewusst, wie viel auf dem Spiel stand.
    Er trat ein, gab Stock und Zylinder dem graugesichtigen Diener, der ihn hinter der Tür erwartete. Dann ließ er sich durch den schmalen, von Gaslicht beleuchteten Gang geleiten. Zu seiner Überraschung führte der Diener ihn nicht hinauf in eines der höhergelegenen Stockwerke des Hauses, sondern hinab in den Keller. Über hohe Stufen ging es in ein finsteres Gewölbe, das einst als Vorratslager angelegt worden sein mochte, inzwischen jedoch anderen Zwecken zu dienen schien.
    Obschon alles ihn dazu drängte, verbot es sich der Besucher, dem Diener Fragen zu stellen. Womöglich würde man ihm das als Unsicherheit auslegen, und er durfte keine Schwäche zeigen. Nicht in diesem frühen Stadium des Plans.
    Der Kellergang, dessen Wände feucht waren und dessen Decke Schimmel überzog, endete vor einer weiteren Tür.
    »Nun?«, fragte der Besucher. »Wollen Sie mir nicht öffnen?«
    »Gewiss, Sir«, versicherte der Diener gleichmütig. »Sobald Sie dies hier angelegt haben.« Damit hielt er ihm etwas hin, das aus schwarzem Stoff bestand: eine Haube, der eines mittelalterlichen Henkers nicht unähnlich, aber ohne Öffnungen für die Augen.
    Der Besucher hob befremdet die Brauen. »Ist diese Maskerade notwendig?«
    »Wenn diese Tür sich öffnen soll – durchaus.«
    Der Besucher biss sich auf die Lippen, nur mühsam beherrschte er seinen Zorn. Einen Augenblick lang zögerte er und überlegte, wie er auf diesen Affront reagieren sollte. In einem jähen Entschluss riss er dem Diener die Haube aus der Hand und zog sie sich über den Kopf. Die Welt um ihn herum versank in Dunkelheit, die Geräusche wurden dumpf.
    »Sind Sie jetzt zufrieden?«, fragte der Besucher. Seine eigene Stimme klang nun ganz nah, und er konnte hören, wie sie bebte.
    Der Diener gab keine Antwort mehr, dafür konnte man hören, wie die Tür entriegelt wurde und knarrend aufschwang. Schritte über feuchten Stein. Dann spürte der Besucher, wie man ihn ergriff und ihm die Hände auf den Rücken fesselte.
    »Verdammt!«, rief er aus, sich nicht mehr länger beherrschend. Die Furcht brach sich plötzlich Bahn, der hässliche Verdacht, einen Fehler begangen zu haben! »Was soll das? Was hat das zu bedeuten?«
    Erneut bekam er keine Antwort, dafür bugsierte man ihn in die Kammer, die sich jenseits der Tür erstreckte. Dem Widerhall der Schritte nach musste es sich um ein geräumiges Gewölbe handeln, sehr viel größer, als er es erwartet hatte.
    »Verzeihen Sie«, sagte eine sonore Stimme, die der Besucher sogleich erkannte. Sie gehörte dem Mann, mit dem er sich vor zwei Tagen im Hyde Park getroffen hatte. Dass er den Sprecher kannte, beruhigte den Besucher ein wenig.
    »Was soll das?«, begehrte er dennoch gegen die Behandlung auf. »Ist das eine Art und Weise, einen Gast zu behandeln?«
    »Ich bedaure diese Maßnahmen«, versicherte der andere. »Aber wie ich Ihnen schon bei unserem Treffen sagte, legen die hier anwesenden Gentlemen großen Wert darauf, unerkannt zu bleiben.«
    »Und deshalb behandeln Sie mich wie einen Verbrecher?«
    »Das liegt nicht in
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