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Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium
Autoren: Unbekannter Autor
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daß wir unser Elend nicht allein trugen. Es war ein unter sieben Personen geteiltes Leid. Es ließ sich eine gewisse Freude oder wenigstens ein Gefühl der Verbundenheit daraus ziehen, mit Menschen zusammenzuleben, deren Leben genauso unspektakulär enden würde wie das eines jeden anderen. Es gab wenig, worauf wir uns freuen konnten. Wenig veränderte sich. Die einzige Abwechslung stellte das gelegentliche Eintreffen der Abbruchexperten dar, die ungeladen auftauchten und nie sehr lange blieben. Bei ihrem ersten Besuch vor rund zwölf Jahren waren wir natürlich beunruhigt. Die Abbruchexperten kamen mit Vertretern der Immobilienfirma, der das Observatorium gehörte, jener Firma, die den Pförtner bezahlte. Wir warteten darauf, daß etwas geschah. Aber nichts passierte. Die Angst hatten wir unter uns sieben aufteilen können. Eine Zeitlang blieben wir in Kontakt und teilten unsere Sorgen. Als jedoch eine angemessene Zeit verstrichen war und wir den Eindruck gewannen, daß genaugenommen nichts passieren würde, kehrten wir alle in unsere individuelle Eins amkeit zurück. Wir verschlossen unsere Türen und beendeten jede Kommunikation bis zum nächsten Besuch der Abbruchexperten. Mit jedem Mal bereiteten uns die Besuche weniger Sorgen. Wir hatten uns gegenseitig so sehr davon überzeugt, es würde nichts passieren, daß wir beim letzten Besuch unmittelbar vor der Ankunft des neuen Bewohners unsere ungeladenen Abbruchexperten überhaupt nicht mehr beachteten und nicht einmal in Erwägung zogen, den anderen unsere Tür zu öffnen.
    Wir machten weiter wie bisher und warteten geduldig auf den Moment, wenn einer von uns der letzte noch verbleibende Bewohner in unserem Zuhause sein würde, auf den Zeitpunkt, an dem niemand mehr übrig war, den man noch ignorieren konnte. Einsamkeit taugt nur dann etwas, wenn man von anderen Menschen umgeben ist. Ich als jüngster Bewohner hatte das meiste zu befürchten. Ich war bei Ankunft des neuen Bewohners siebenunddreißig. Nun könnte man annehmen, daß ich mich freuen würde, einen weiteren Bewohner in unserem Haus zu haben, doch dem war durchaus nicht so. Dies war bei keinem von uns so und dies ist der große Widerspruch der Einsamen. Auch wenn wir uns danach sehnten, nicht allein zu sein, fürchteten wir doch auch die Schmerzen, die es uns kosten würde, aus unserem Zustand der Einsamkeit herausgeholt zu werden. Und nach Überwindung dieser Furcht, konnte uns da jemand garantieren, daß wir nie wieder in einen Zustand der Einsamkeit zurückversetzt würden? Das konnte niemand. Obwohl wir unsere Einsamkeit nicht unbedingt genossen, so gewöhnten wir uns zumindest an sie. Es war ein verläßlicher Zustand, beinahe wie ein Freund. Wir wollten, daß sich nichts änderte. Wenngleich wir uns danach sehnten, nicht der letzte überlebende Bewohner zu sein, sehnten wir uns doch auch danach, daß sich an unseren beruhigenden Tagen nichts änderte. Wir wollten keine Geräusche. Wir wollten keine unerwarteten Bewegungen.
    Am Tag, bevor der neue Bewohner kam, waren wir alle vereint in einer nahezu alles verzehrenden Besorgnis. Wir hatten einander noch nicht die Türen geöffnet, aber die Option war da. Wir konnten förmlich spüren, wie die Türklinken bebten. Wir waren unruhig. Wir zogen die Möglichkeit in Betracht, daß der neue Bewohner ein Mensch sein könnte, der wie wir Geselligkeit mißbilligte. Wir zogen die Möglichkeit in Erwägung, daß der neue Bewohner alt sein oder im Sterben liegen, ja vielleicht sogar noch während seiner ersten Nacht hier sterben könnte.
    Wir zogen die Möglichkeit in Betracht, daß der neue Bewohner nur einen kurzen Blick auf unser Zuhause werfen und sodann beschließen könnte, sofort wieder abzureisen. Sollte dies der Fall sein, wären wir für ein paar Minuten gekränkt und anschließend für immer und ewig erleichtert.
    Uns blieb nur abzuwarten und ihm seinen Aufenthalt bei uns, der, davon waren wir überzeugt, nur ein kurzer sein würde, so unangenehm wie möglich zu machen. Aber niemand machte sich mehr Sorgen als ich, war ich doch der jüngste Bewohner und folglich derjenige, sollte sich herausstellen, daß der neue Bewohner weder alt war noch im Sterben lag, der aller Wahrscheinlichkeit nach am längsten unter seiner Gesellschaft zu leiden hätte.
Der Tag kam
    Es war ein strahlender Morgen. Es hätte keiner sein sollen, es hätte ein bedeckter Tag sein sollen. Es war ein angenehmer Tag im späten Frühjahr. So hätte es nicht sein sollen, der Tag
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