Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verborgene Kind

Das verborgene Kind

Titel: Das verborgene Kind
Autoren: Marcia Willett
Vom Netzwerk:
falls Nick anruft. Hast du ihn kürzlich gesehen?«
    »Nicht in letzter Zeit. Ab und zu besuchen die beiden gern eine der Verlagspartys. Die Filmpremiere fanden sie natürlich toll, und hin und wieder laden sie mich zum Abendessen ein. Die zwei sind immer so beschäftigt, sie arbeiten furchtbar viel, und die Kinder haben ein erstaunlich intensives Gesellschaftsleben, wenn man bedenkt, dass sie kaum dem Kindergarten entwachsen sind.«
    »Vielleicht liegt es nur am Arbeitsdruck, und alles löst sich in Wohlgefallen auf. Jede Ehe hat ihre merkwürdigen Phasen, wie Milos Mutter zu sagen pflegte. Was hast du denn da?«
    Er hielt einen großen braunen, in der Mitte gefalteten Umschlag in der Hand. Nun trat er näher und legte ein Foto auf den Tisch.
    »Zuerst einmal dachte ich, du würdest das vielleicht gern sehen.« Er schob ihr das Bild hin, und Lottie nahm es in die Hand. Ihr eigenes lächelndes Gesicht blickte sie an, und neben ihr stand Tom und lachte ebenfalls. Er hatte den Arm beiläufig um ihre Schultern gelegt, und sie beide kniffen die Augen zusammen, um sich gegen die Sonne zu schützen.
    »Oh«, sagte sie. »Oh.« Dann nahm sie sich zusammen. Matt beobachtete sie verhalten lächelnd, als wisse er Bescheid. Aber wie sollte er? »Ich erinnere mich daran«, erklärte sie mit großer Mühe. »Wir hatten ihm ein Angebot für sein Buch gemacht, und ich hatte ihn zum Mittagessen eingeladen, um darüber zu reden. Es war so aufregend. Wir waren ein ganz kleiner Verlag, größtenteils akademisches Zeug und ein paar Lyriker. Tom war ein sehr erfolgreicher Journalist, und ich war ganz außer mir darüber, ihn zu treffen und Leopoldville zu veröffentlichen. Er überredete mich, mit zu ihm nach Hause zu kommen, damit ich Helen kennenlernen konnte. Das war in den Siebzigern, kurz nachdem sie alle aus Afghanistan zurückgekehrt waren, und sie war ziemlich niedergeschlagen. Postnatale Depression nach Imogens Geburt. Er hoffte, dass die Veröffentlichung des Buchs sie aufmuntern würde.«
    »Und, hat sie das?«
    Lottie zögerte. »Nicht wirklich. Nicht langfristig. Aber wir hatten einen schönen Nachmittag zusammen. Helen hat das Foto gemacht.«
    »Ich habe mich gefragt, ob du es vielleicht haben möchtest. Es sei denn, du hast schon einen Abzug?«
    »Nein.« Immer noch hielt sie das Bild in der Hand und betrachtete es eingehend. Sie konnte sich an die Wärme der Sonne auf ihrem Kopf erinnern, an den Fliederduft im Garten – und an den leichten Druck von Toms Arm, der um ihre Schultern lag. In einem Nachbarhaus hatte jemand Klavier gespielt – Chopins Sonate in b-Moll; die Melodie war durch das offene Fenster gedrungen. Seit diesem Nachmittag musste sie bei diesem Stück immer an Tom denken.
    Bei der Erinnerung zog sich Lotties Herz vor Schmerz zusammen. »Ich würde es sehr gern haben. Danke, Matt.«
    »Es war in Mums Rosenholzschatulle. Und die hier auch.« Er kippte den Inhalt des Päckchens aus, und die Fotos verteilten sich auf dem Tisch. Sie beugte sich darüber. »Kommt dir daran etwas merkwürdig vor?«, fragte er.
    Sie schob sie herum und riskierte eine Vermutung. »Sie sind alle von dir? Keins von Im?«
    »Komisch, nicht wahr?« Er nahm eines in die Hand. »Es ist aber mehr als das.« Er runzelte die Stirn. »Ich weiß, das klingt eigenartig, aber ich kann mich nicht dazu in Beziehung setzen, wenn du verstehst, was ich sagen will.«
    Sie nahm noch eines auf. »Was meinst du?«
    Er schüttelte den Kopf, als müsse er eine bizarre Vorstellung vertreiben. »Na ja, zum Beispiel erkenne ich diesen Pullover nicht wieder. Wie alt bin ich da? Sechs? Sieben? Ich kann mich einfach nicht daran erinnern, einen gestreiften Pullover in diesen leuchtenden Farben gehabt zu haben. Und schau dir mal den Hintergrund an. Wessen Auto ist das?«
    Lottie spähte darauf. »Keine Ahnung. Worauf willst du hinaus?«
    »Ich bin mir nicht sicher. Es ist nur dieses Gefühl von Orientierungslosigkeit, das mich überkommt, wenn ich die Fotos betrachte.«
    »Hast du sie Imogen schon gezeigt?«
    »Nein. Ich möchte ihr nicht gern sagen, dass keine von ihr dabei sind.«
    »Aber wir haben ganze Alben voller Fotos von euch beiden. Sie weiß doch, wie merkwürdig Helen gegen Ende war. Ich finde, du reagierst zu empfindlich.«
    »Vielleicht.« Er schob die Fotos zusammen und steckte sie weg.
    Sie sah ihm zu und war sich einmal mehr der seltsamen Empfindung bewusst, die sie überkommen hatte, als er angekommen war: des Gefühls von einem Schatten hinter
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher