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Das Unsterblichkeitsprogramm

Das Unsterblichkeitsprogramm

Titel: Das Unsterblichkeitsprogramm
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stand auf. Ich stellte fest, dass sie fast genauso groß wie mein neuer Sleeve war. »Ich bin Kristin Ortega. Von der Abteilung für Organische Defekte. Bancroft war mein Fall.«
    »War?«
    Sie nickte. »Der Fall ist abgeschlossen, Kovacs.«
    »Soll das eine Warnung sein?«
    »Nein, nur eine Tatsachenfeststellung. Ein klarer Fall von Selbstmord.«
    »Bancroft scheint anderer Meinung zu sein. Er behauptet, ermordet worden zu sein.«
    »Ja, das ist mir zu Ohren gekommen.« Ortega zuckte die Achseln. »Das ist immerhin verständlich. Für einen Mann wie ihn dürfte es schwer zu glauben sein, dass er sich den eigenen Kopf weggepustet hat.«
    »Ein Mann wie wer?«
    »Ich bitte Sie!« Doch dann zeigte sie ein schwaches Lächeln. »Entschuldigung, ich vergesse es ständig.«
    »Was vergessen Sie?«
    Wieder hielt sie inne, doch es schien das erste Mal während der kurzen Dauer unserer Bekanntschaft zu sein, dass Kristin Ortega leicht aus dem Gleichgewicht geriet. Ihr Tonfall klang zögernd und schleppend, als sie wieder sprach. »Dass Sie nicht von hier sind.«
    »Und?«
    »Und jeder, der von hier ist, weiß, was für ein Mann Laurens Bancroft ist. Das ist alles.«
    Es faszinierte mich, warum sie sich so ungeschickt anstellte, einen völlig Fremden anzulügen, also versuchte ich sie wieder zu beruhigen. »Ein reicher Mann«, riet ich. »Ein mächtiger Mann.«
    Sie lächelte dünn. »Sie werden schon sehen. Was ist nun, möchten Sie die Mitfahrgelegenheit nutzen oder nicht?«
    Im Brief in meiner Tasche stand, dass draußen vor der Halle ein Chauffeur auf mich warten würde. Von der Polizei hatte Bancroft nichts erwähnt. Ich hob die Schultern.
    »Ich habe noch nie eine kostenlose Mitfahrgelegenheit abgelehnt.«
    »Gut. Dann können wir ja gehen.«
    Sie eskortierten mich zur Tür und benahmen sich wie Bodyguards, als wir nach draußen traten, den Kopf erhoben und mit wachsamen Linsenaugen. Ortega und ich schritten gleichzeitig durch die Tür, dann schlugen mir die Wärme und das Sonnenlicht ins Gesicht. In der Helligkeit kniff ich die neuen Augen zusammen und erkannte eckige Gebäude hinter echten Drahtzäunen auf der gegenüberliegenden Seite eines schlecht gepflegten Landeplatzes. Sterile, schmutzig weiße Bauten, die möglicherweise noch aus dem Prämillennium stammten. Zwischen den merkwürdig monochromen Wänden sah ich Teile einer grauen Eisenbrücke, die sich hoch erhob und an einer nicht zu erkennenden Stelle landete. Eine ähnlich triste Ansammlung von Luft- und Bodenfahrzeugen stand in unordentlichen Reihen herum. Der Wind frischte unvermittelt auf, und ich nahm den schwachen Duft eines blühenden Krauts wahr, das in den Ritzen des Landeplatzes wuchs. Aus der Ferne war das vertraute Summen des Verkehrs zu hören, aber alles andere wirkte wie die Kulisse für ein historisches Drama.
    »… und ich sage euch, es gibt nur einen Richter! Glaubt nicht an die Menschen der Wissenschaft, wenn sie euch sagen…«
    Das Krächzen der billigen Megafonbox erreichte uns, als wir die Stufen zum Landeplatz hinuntergingen. Ich schaute mich um und sah, dass sich eine Menschenmenge um einen in Schwarz gekleideten Mann versammelt hatte, der auf einer Kiste stand. Holografische Transparente schwebten zitternd über den Zuhörern in der Luft. NEIN ZUR RESOLUTION 653!!! – NUR GOTT KANN MENSCHEN WIEDERAUFERSTEHEN LASSEN!!! Jubel übertönte den Sprecher.
    »Was sind das für Leute?«
    »Katholiken«, sagte Ortega mit verzogener Oberlippe. »Eine altertümliche religiöse Sekte.«
    »Aha? Noch nie davon gehört.«
    »Das erstaunt mich nicht. Sie glauben, dass man einen Menschen nicht digitalisieren kann, ohne dass die Seele verloren geht.«
    »Also kein besonders weit verbreiteter Glaube.«
    »Es gibt sie nur auf der Erde«, sagte sie verdrießlich. »Ich habe auch gehört, dass der Vatikan – die Zentrale ihrer Kirche – einige Kryoschiffe finanziert hat, die nach Starfall und Latimer gestartet sind…«
    »Ich war auf Latimer, aber dort ist mir so etwas nie aufgefallen.«
    »Die Schiffe sind um die letzte Jahrhundertwende abgeflogen, Kovacs. Sie werden ihr Ziel erst in einigen Jahrzehnten erreichen.«
    Wir machten einen weiten Bogen um die Menschenansammlung, aber eine junge Frau, die ihr Haar straff zurückgebunden hatte, trat mir entgegen, um mir ein Flugblatt zu überreichen. Ihre Bewegung war so abrupt, dass die Reflexe meines Sleeves angeregt wurden und ich abwehrend den Arm hochriss, bevor ich mich wieder unter Kontrolle hatte.
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