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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau
Autoren: Annette Hohberg
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an die Wand gehängt, und seitdem hat sich keiner mehr darum gekümmert. Ein Stück aus einem Leben, dem die Luft ausgegangen ist, ohne dass es einer bemerkt hat.
    Was sag ich jetzt den Gästen?, fährt es Lina durch den Kopf. Und im nächsten Moment entschließt sie sich zur Lüge. Sie wird erklären, ihrer Mutter sei nicht wohl gewesen, sie habe sich hingelegt. Sie wird um Entschuldigung bitten und sich von allen verabschieden, als sei nichts geschehen.
     
    Es ist einfacher als erwartet. Einige reagieren verwundert, andere besorgt, doch niemand hakt weiter nach. Die meisten greifen nach Jacke, Autoschlüssel, Handy, bedanken sich und wünschen eine gute Nacht.
    Die Uhr in der Küche zeigt zwei Uhr morgens, als Lina das letzte Geschirr in die Spüle räumt. Die Rosen stehen etwas schief in ihrem Eimer; Martha hat noch nicht mal das Bastband aufgeschnitten, das den Strauß zusammenhält. Wie zum Trotz beginnen vier Blumen bereits, sich zu öffnen.
    Lina fährt mit den Fingern über das blühende Rot. Dann ruft sie ihren Vater an.
    Er klingt verschlafen und etwas ärgerlich.
    Sie geht darüber hinweg. »Mami ist verschwunden«, sagt sie, und ihre Stimme zittert dabei. Wie ihre Hände, die noch immer die Rosen streicheln.

[home]
    2
    K önnten Sie mir Feuer geben?«
    Martha sah hoch. Die Frau, die vor ihr stand, war klein, dünn, fast hager. Sie hatte lange dunkle Haare, die sie mit einer schnellen Bewegung in den Nacken warf. Alles an ihr wirkte schnell, auch der Blick, mit dem sie sich von ihrem Gegenüber eine erste Rohzeichnung machte – ein Skizzen-Blick, in dem sie ein Zwinkern versteckte, kaum wahrnehmbar, doch Martha fand es, hob es auf und gab ihr ein Lächeln zurück.
    »Natürlich.« Sie griff neben sich nach dem Feuerzeug, drehte zweimal an dem Rädchen und schützte die Flamme mit der anderen Hand, während die Frau an ihrer Zigarette zog.
    »Danke.« Sie inhalierte kurz und blies den Rauch aus. »Sie kommen aus Deutschland?« Sie zeigte auf das Buch, das neben Martha auf dem Boden lag.
    »Ja, aus der Nähe von Hamburg. Und Sie?«
    »Aus Bologna. Bin für zwei Tage zu Besuch bei meinen Eltern hier in Triest.«
    »Sie sprechen gut Deutsch.«
    »Meine Mutter ist Österreicherin.«
    »Aha, daher der Akzent.«
    »Ja, ja, das Wienerische …« Sie zeigte auf die Steinbank, auf der Martha saß. »Darf ich?«
    »Gern. Ich bin sowieso allein.«
    Die Frau setzte sich, wobei sie ein Knie anwinkelte und den linken Fuß ganz nah zu sich heranzog. Sie trug enge Jeans und Chucks. Dazu ein schwarzes verwaschenes Shirt, dessen Ärmel sie hochgekrempelt hatte. Martha sah braungebrannte muskulöse Arme. Sie schätzte die Frau auf Anfang vierzig. Das Gesicht kam mit wenig Make-up aus; es gibt diese Gesichter, die das nicht nötig haben.
    Einige Momente schwiegen beide, sahen auf das Meer, das graugrün gegen die große Mole schwappte. Es war ein fast selbstverständliches Schweigen, das sich mit dem Plätschern des Wassers verband und Raum ließ für das, was um sie herum passierte. Für die alten Männer, die ihre Angeln auswarfen, und die jungen Kerle, die ihre Oberkörper bräunten. Für die alten Frauen, die bunte Handtaschen spazieren führten, und die jungen Mädchen, die Mathematikaufgaben in kleinkarierten Heften lösten. Für die Boote der Guardia Costiera, die an der Mole nebenan starteten und mit Höchstgeschwindigkeit vorbeidieselten. Für die Möwen, die nach Fischen Ausschau hielten. Die Sonne spielte am Himmel Verstecken mit den Wolken, doch immer wenn sie hervorkam, wärmte sie die Steine, auf denen die Menschen saßen und redeten und schauten und es genossen, dass sich die Luft an diesem Nachmittag im Mai bereits ein wenig nach Sommer anfühlte.
    »Was machen Sie in Triest?«, fragte die Frau neben Martha und drückte ihre Zigarette an der Steinbank aus.
    »Ich hatte heute ein Interview mit einem deutschen Krimiautor, der hier lebt.«
    »Sie sind Journalistin?«
    »Ja.«
    »Für wen schreiben Sie?«
    »Verschiedene Magazine. Einige Frauenzeitschriften darunter. Ich arbeite frei.«
    »Sicher nicht ganz leicht.«
    »Na ja, ich mach das schon seit vielen Jahren. Da hat man seine Kontakte.«
    »Mein Bruder schreibt auch.« Sie lächelte, während sie das sagte.
    »Und was schreibt er?«
    »Romane, die nie fertig werden. Ein Meister der unvollendeten Werke.«
    Martha lachte. »Davon kann man schlecht leben.«
    »Tut er auch nicht. Aber er versucht, die Dinge entspannt zu sehen.«
    »Lebenskünstler?«
    »Ist
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