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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma
Autoren: Camilla Grebe
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vorwärts, während ich zugleich hinter mir höre, wie die Tür sich schließt, gefolgt von einem metallischen Klirren.
    Dunkelheit.
    Ich befinde mich auf dem Dachboden, taste mich an der Wand oberhalb der Treppe entlang, finde eine Art Leitung, die sich tiefer in den Bodenraum hineinzieht, wie eine Schlange. Als ich vorsichtig auf den Holzboden hinausgehe, knarrt der unter meinem Gewicht. Draußen heult der Wind um die Hausecken. Um meine Füße drängen sich weiße Bündel, über die ich hinwegsteigen muss. Vielleicht Kleidungsstücke. Alte Zeitungen?
    Dann bemerke ich etwas anderes. Die Leitung endet und wird ersetzt von einem kleinen runden Gegenstand. Einer Glühbirne. Dann muss es doch irgendwo einen Lichtschalter geben? Langsam gehe ich den Weg zurück, den ich gekommen bin, taste mich an der Leitung entlang, steige vorsichtig über die Bündel auf dem Boden. Nehme den scharfen Geruch von Schimmel und Staub wahr.
    Dann finde ich ihn.
    Der Lichtschalter knackt, als ich ihn umdrehe, und plötzlich ist der Dachboden in Licht gebadet.
    Und dann sehe ich sie.
    An der Wand befestigt wie eine Stoffpuppe, zwischen zwei alten Reisetaschen, hängt eine Frau von vielleicht sechzig Jahren. Ihr Gesicht ist bedeckt von blauroten Flecken und sieht seltsam geschwollen aus. Ihre Hände sind zu Krallen gekrümmt und in einer unnatürlichen Stellung erstarrt. Ihr Mantel ist gefleckt und verstaubt, als hätte jemand sie über den Boden geschleift. Sie trägt keine Schuhe, nur an einem Fuß einen grauen Strickstrumpf. Der andere Fuß ist nackt.
    Ich stoße einen unfreiwilligen Schrei aus und trete einen Schritt zurück, stoße gegen etwas und kippe in einen weichen Haufen aus Zeitungen und alten Kleidern.
    Staub umwirbelt mich, und ich muss husten.
    Obwohl ich gestürzt bin, kann ich nicht aufhören, sie anzustarren, statt mich im Zimmer umzusehen.
    Der Bodenraum ist kleiner, als ich gedacht hatte, und ich vermute, dass ich mich genau unter dem Dachfirst befinde. Auf dem Boden drängen sich alte Jacken und Jeans mit Zeitungsstapeln.
    Ich gehe vor einem Haufen Dagens Nyheter von 1989 in die Hocke. Daneben andere Zeitungen, alle aus dem Jahre 1989, vergilbte Bündel, die Zeugnis von dem ablegen, was in jenem Jahr geschehen ist. Ich schaue mir die oberste an. 14. März. »Kerstin Ekman und Lars Gyllensten verlassen aus Protest die Schwedische Akademie«. Ich hebe die Zeitung auf. Das Papier ist hart und klebt zusammen, als hätte es in Wasser gelegen. Darunter liegt eine andere Zeitung: 25. März 1989. »Hier enden die Spuren von Helene Nilsson, 10« und »Ölkatastrophe in Alaska«.
    Mühsam richte ich mich auf und schaue mich um. Am einen Ende des länglichen Raums gibt es ein kleines Fenster mit verstaubten Scheiben und am anderen eine Tür.
    Die Garderobe.
    Vorsichtig taste ich mich zwischen Zeitungen und Abfällen auf die Tür zu. Ich mache einen weiten Bogen um die Tote, will nicht riskieren, über sie zu stolpern, in einer unfreiwilligen Umarmung mit den klauenhaften Händen, der kalten Haut vereint zu werden.
    »Tilde, bist du da?«
    Ich klopfe so hart an das ungehobelte Holz, dass Splitter sich in meine Hände bohren.
    Keine Antwort auf der anderen Seite der Tür. Keine Mädchenstimme, die mich ruft.
    Die Tür hat ein Schloss, aber keine Klinke. Ich taste an den Kanten, bis ich einen Spalt finde, in den ich meine Finger schieben kann. Dann ziehe ich aus voller Kraft, stemme mich mit dem Fuß gegen die Wand, und mit einem Seufzer muss die Tür weichen, weit aufspringen.
    Und da sitzt sie.
    Sie sieht magerer aus als auf den Bildern in den Abendzeitungen. Der Arm hängt in einem unnatürlichen Winkel in einer Schlinge über ihrem Kopf. Ihr Gesicht ist schmutzig, aber ich kann deutlich die dunklen großen Augen sehen, die mich anzustarren scheinen, ohne zu begreifen, was da vor sich geht. Ein schwacher Uringestank füllt die Kammer. Auf dem Boden liegen eine schmutzige Decke und einige zusammengeknüllte Butterbrotpapiere.
    Ich binde das Seil von dem Haken in der Ecke, bücke mich und hebe den kleinen Mädchenkörper hoch.
    So leicht.
    So wenig wiegt also ein Leben.
    Ich staune darüber, während ich durch die Kammer zur Treppe gehe. Sie leistet keinen Widerstand. Sagt nichts. Lehnt nur den Kopf an meine Schulter, als schliefe sie.
    Vorsichtig lege ich ihr die Hand vor die Augen, damit sie die tote Frau nicht sehen muss. Denke, dass sie genug Tod und Schlechtigkeit gesehen hat.
    Durch die Bodenbretter höre ich Tobias mit
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