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Das Tor zur Hölle - Hellraiser

Das Tor zur Hölle - Hellraiser

Titel: Das Tor zur Hölle - Hellraiser
Autoren: Clive Barker
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auf die Zunge abgab.
    Seine Ohren waren nicht weniger sensibel. Der Kopf füllte sich mit tausend lärmenden Geräuschen, von denen einige von ihm selbst erzeugt wurden. Der Luftzug, der sich an seinen Trommelfellen brach, war ein Orkan; die Blähungen in seinen Gedärmen hallten wie Donner. Doch da waren noch andere Geräusche – unzählige Geräusche –, die von irgendwoher außerhalb seiner selbst auf ihn einstürzten. Im Zorn erhobene Stimmen, geflüsterte Liebesschwüre; Lärm und Getöse; Liederfetzen; Tränen.
    War es die Welt, die er hörte? Der Morgen, der in tausend Häusern anbrach? Er hatte keine Gelegenheit, genauer hinzuhören; die Kakophonie raubte seinem Kopf jegliche Fähigkeit zur Analyse.
    Doch das alles war noch nicht das Schlimmste. Die Augen! Oh, guter Gott im Himmel, er hätte nie gedacht, daß sie solche Folterqualen verursachen könnten; er, der immer geglaubt hatte, daß ihn nichts auf der Welt mehr überraschen würde. Nun geriet er in einen Siegestaumel! Überall um ihn herum gab es so viel zu sehen!
    Der einfache Putz der Decke bildete eine furchteinflößende Landschaft aus Pinselstrichen. Das Gewebe seines schlichten Hemdes wurde zu einem unerträglich verschlungenen Gewirr von Fäden. In der Ecke sah er eine Made, die sich auf dem Kopf einer toten Taube bewegte und ihm zuzwinkerte, als sie sah, daß er sie sah. Zuviel! Zuviel!
    Entsetzt schloß er die Augen. Doch drinnen war noch mehr als draußen – Erinnerungen, deren Brutalität ihn erschütterte und an den Rand der Besinnungslosigkeit trieb. Er saugte die Milch seiner Mutter und verschluckte sich; fühlte die Arme seines Bruders um sich geschlungen (war es ein Kampf oder eine brüderliche Umarmung? Egal was, es erstickte ihn). Und mehr, so viel mehr. Eine kurze Lebensspanne von Eindrücken und Erlebnissen, alle in makelloser Schrift auf seiner Gehirnrinde niedergeschrieben. Sie erdrückten ihn mit ihrem Drängen, präsent zu werden.
    Er hatte das Gefühl, gleich zu explodieren. Sicher konnte die Welt außerhalb seines Kopfes – das Zimmer und die Vögel jenseits der Tür –, sie konnte, trotz all ihrer kreischenden Exzesse, nicht so überwältigend sein wie seine Erinnerungen. Also lieber die, dachte er bei sich und versuchte, die Augen zu öffnen. Doch sie wollten nicht auseinandergehen. Tränen oder Eiter oder Nadel und Faden hatten sie versiegelt.
    Das Aussehen der Zenobiten fiel ihm ein: Die Haken, die Ketten. Hatten sie ähnliche chirurgische Eingriffe an ihm vorgenommen, ihn mit der Parade seiner eigenen Historie hinter seinen Augen eingeschlossen?
    Aus Angst, sonst den Verstand zu verlieren, wandte er sich an sie, obgleich er nicht wußte, ob sie überhaupt noch in Hörweite waren.
    »Warum?« fragte er. »Warum tut ihr mir das an?«
    Das Echo seiner Worte dröhnte in seinen Ohren, doch das kümmerte ihn kaum. Immer mehr Sinneseindrücke trieben aus der Vergangenheit zu ihm heran, um ihn zu quälen. Die Kindheit haftete noch an seiner Zunge (Milch und Frustration), doch schon gesellten sich Erwachsenengefühle hinzu. Er war ein Mann geworden! Er hatte einen Schnurrbart und alle Kraft der Welt – ungelenke Hände, unersättlichen Hunger.
    Jugendliche Freuden hatten noch den Reiz des Neuen besessen, doch als die Jahre dahingekrochen waren und schwache Sinneseindrücke ihre Kraft verloren hatten, war er auf der Suche nach immer neuen Erfahrungen gewesen. Und hier waren sie nun wieder, jetzt noch brennender, da er sie so lange in der Dunkelheit der entlegensten Winkel seines Kopfes verwahrt hatte.
    Er spürte eine unermeßliche Geschmacksvielfalt auf seiner Zunge: Bitter, süß, sauer, salzig; roch Gewürze und Scheiße und das Haar seiner Mutter; sah Städte und Himmel; sah Geschwindigkeit, sah Tiefen; brach das Brot mit Männern, die nun schon lange tot waren, und wurde verbrüht von der Hitze ihres Speichels auf seiner Wange.
    Und natürlich waren da Frauen.
    Immer wieder tauchten inmitten des rasenden Durcheinanders und des Chaos Erinnerungen an Frauen auf, überwältigten ihn mit ihrem Geruch, dem Gefühl ihrer Haut, ihrer Ausstrahlung.
    Die Nähe dieses Harems erregte ihn trotz allem. Er öffnete seine Hose und streichelte seinen Schwanz, mehr darauf versessen, sein Sperma zu verspritzen und sich vielleicht so von diesen Geschöpfen befreien zu können, als das Vergnügen selbst zu genießen.
    Während er sich bearbeitete, war er sich schemenhaft bewußt, was für einen erbärmlichen Anblick er abgeben mußte:
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