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Das Tor zur Hölle - Hellraiser

Das Tor zur Hölle - Hellraiser

Titel: Das Tor zur Hölle - Hellraiser
Autoren: Clive Barker
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Klumpen zuckte mit den Schultern. »Doch«, sagte er. »Natürlich. Aber wir können nicht weggehen, Schätzchen.« Schätzchen. Das Wort verhöhnte sie beide; ein Hauch von Gefühl in einem Zimmer, das bisher nur Schmerz gesehen hatte. »Ich kann der Welt nicht so gegenübertreten.« Er deutete auf sein Gesicht. »Oder kann ich das etwa?« führ er fort und starrte sie an. »Sieh mich an.« Sie sah ihn an. »Kann ich das?«
    »Nein.«
    »Nein.« Er ließ seine Blicke wieder über den Boden schweifen. »Ich brauche eine Haut, Julia.«
    »Eine Haut?«
    »Vielleicht … vielleicht können wir dann zusammen tanzen gehen. Ist es nicht das, was du dir wünscht?«
    Er sprach vom Tanzen und vom Tod mit derselben Nonchalance, als hätte das eine ebenso geringe Bedeutung wie das andere. Doch es beruhigte sie, ihn so reden zu hören.
    »Wie?« sagte sie schließlich. Womit sie meinte, wie kann man eine Haut stehlen – aber auch: Wie können wir verhindern, über die ganze Sache den Verstand zu verlieren?
    »Es gibt Mittel und Wege«, sagte das gehäutete Gesicht und warf ihr eine Kußhand zu. Wären da nicht die weißen Hände gewesen, hätte sie den Würfel vielleicht nie in die Hand genommen. Wäre da ein Bild zum Anschauen gewesen – eine Vase mit Sonnenblumen oder ein Blick auf die Pyramiden – irgend etwas, das dazu bestimmt war, die Monotonie des Zimmers aufzulockern, hätte sie sich damit begnügt, es anzustarren und ihren Gedanken nachzuhängen. Doch die Leere war zu viel; sie bot ihr keinen Rettungsanker für ihren Verstand. Also streckte sie die Hand zum Nachttisch neben dem Bett aus und nahm den Würfel hoch.
    Er war schwerer, als sie sich erinnerte. Sie mußte sich im Bett aufsetzen, um ihn zu betrachten. Doch es gab nur wenig zu sehen. Sie konnte keinen Deckel finden. Kein Schlüsselloch. Keine Angeln. Sie drehte ihn wohl hundertmal in ihren Händen herum, ohne den geringsten Hinweis zu entdecken, wie er zu öffnen war. Doch war er nicht massiv, dessen war sie sich sicher. Also besagte die Logik, daß es einen Weg hinein geben mußte. Doch wie und wo?
    Sie klopfte dagegen, schüttelte ihn, zog daran und drückte ihn zusammen, alles ohne Erfolg. Erst als sie sich auf die andere Seite des Bettes rollte und den Würfel beim hellen Schein der Lampe betrachtete, entdeckte sie die ersten Hinweise darauf, wie der Würfel konstruiert war. An seinen Seitenflächen sah sie kaum erkennbare Ritzen, wo sich ein Teil des Geduldsspiels in das andere fügte. Sie wären unsichtbar gewesen, hätten sich nicht Rückstände des Bluts in ihnen festgesetzt und so das komplexe Verbindungsnetz der Teile nachgezeichnet.
    Sie begann, systematisch die Flächen abzutasten und dabei ihre Hypothese durch ständiges Zusammenschieben und Auseinanderziehen zu überprüfen. Die Ritzen lieferten ihr eine Art Landkarte des Spielzeugs; ohne sie hätte sie die sechs Seitenflächen vielleicht ewig absuchen können. Doch die Hinweise, die sie gefunden hatte, limitierten die Möglichkeiten entschieden; es gab nur eine bestimmte Anzahl von Wegen, wie man den Würfel auseinandernehmen konnte.
    Nach einiger Zeit wurde ihre Geduld belohnt. Ein Klicken, und plötzlich schob sich einer der Abschnitte aus der Mitte der lackierten Fläche heraus. Darunter lag Schönheit. Polierte Oberflächen, die changierten wie das makelloseste Perlmutt, farbige Schatten, die sich in den schimmernden Rächen zu bewegen schienen.
    Und da erklang auch Musik. Eine einfache Melodie drang aus dem Würfel, gespielt von einem Mechanismus, den sie noch nicht hatte entdecken können. Bezaubert drang sie weiter vor. Obwohl schon ein Segment bewegt worden war, ließ sich der Rest dennoch nicht bereitwillig öffnen. Jedes Teil stellte eine neue Herausforderung an ihre Finger und ihren Verstand dar, und ihre Siege wurden mit weiteren Ziselierungen der Melodie belohnt.
    Als sie gerade das vierte Segment mit Hilfe einer komplizierten Folge von Drehungen und Gegendrehungen aus seiner Position lockte, hörte sie die Glocke. Sie hielt inne und schaute auf.
    Irgend etwas war nicht in Ordnung. Entweder spielten ihr ihre übermüdeten Augen einen Streich, oder die schneesturmweißen Wände hatten sich kaum wahrnehmbar verändert. Sie legte den Würfel beiseite, stand auf und ging zum Fenster hinüber. Die Glocke schlug immer noch; ein feierliches Geläut. Sie zog den Vorhang ein paar Zentimeter zurück. Es war Nacht und windig. Blätter stoben über den Rasen des Krankenhauses; Motten
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