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Das Tor nach Andoran (German Edition)

Das Tor nach Andoran (German Edition)

Titel: Das Tor nach Andoran (German Edition)
Autoren: Hubert Mergili
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wanderte zu dem Rechteck des Fensters, in dem man schon ganz deutlich die Abenddämmerung erkennen konnte. Der Inhalt der Truhe mahnte ihn Julian, seine vermutlich letzte große Aufgabe in seinem Leben in Angriff zu nehmen.
    „Die Suche nach einem Nachfolger“
    Viel zu lange schon schob er diese Pflicht vor sich her, obwohl ihn die mahnende Stimme in seinem Inneren dazu drängte. Aber es war keine leichte Aufgabe, die auf die Schnelle erledigt werden konnte. Denn sein Nachfolger musste einige Eigenschaften mitbringen, die er unbedingt vorweisen sollte.
    Sein Nachfolger musste eine gehörige Portion Mut, einen Glauben an das Übernatürliche und absolute Verschwiegenheit mitbringen. Zudem benötigte sein Nachfolger einen wachen Verstand und körperliche Kraft, um die Aufgaben, die auf ihn warteten zu bewältigen.
    Julian nahm den alten Umhang aus der Truhe und legte ihn auf den aufgeklappten Deckel. Unter ihm kamen ein Jagdbogen aus Eschenholz und ein Jagdmesser zum Vorschein. Beides legte er behutsam neben die Truhe auf den Fußboden. Mit seinen Fingern suchte er weiter zwischen der Kleidung und anderen Gegenständen nach dem dicken Buch.
    Seine Hände ertasteten unvermittelt weiches Leder, über das Julians Finger liebevoll und ehrfürchtig glitten. Bilder tauchten vor seinem geistigen Auge auf, bei denen auch nach so vielen Jahren eine oberflächlich verheilte Wunde aufgerissen wurde.
    Der Jagdanzug aus feinem Hirschleder schien in seinen Händen bei der Berührung zu vibrieren. Er schien nach all den Jahren noch Reste der Magie zu beherbergen, mit denen er einst in Berührung kam.
    Doch Julian wusste, dass es nur die Erinnerungen waren, die seine Hände zitternd machten. Rasch schob er den Anzug beiseite und setzte seine Suche nach dem Buch fort. Julian fand das Buch zuunterst in der Truhe zwischen Hosen und Hemden. Er nahm es heraus und legte es auf seine Oberschenkel. Dieses Buch erhielt Julian vor langer Zeit von seinem Lehrer, obgleich es ihm erschien, als wäre es erst gestern gewesen. Dieser weihte ihn in die Geheimnisse des Buches ein und bestimmte Julian zu seinem Nachfolger. Seine Augen schweiften zu dem Rechteck des Fensters und seine Gedanken glitten in weite Ferne.
    Er musste an den Tag denken, als Gandulf sein Lehrer in sein Leben trat. Gandulf und der Troll Granak hatten sein Dasein mit einem Schlag verändert. Und nicht zuletzt das Einhorn, das mit einem gewaltigen Knall in sein Leben trat. Dieses Ereignis gab seinem bisherigen Leben eine Richtung, an die er zu dieser Zeit nicht in seinen kühnsten Träumen gedachte hätte.
    Seufzend packt Julian die Sachen, bis auf den Umhang wieder in die Kiste zurück. Dann schreckte ihn ein Klopfen an der Türe auf.
    »Meister Julian es wird Zeit. Die Sonne ist schon untergegangen und die Leute warten ungeduldig auf Euch. Sie wollen Eure Geschichten hören.«
    Julian klappte den Deckel zu und rief zur Tür hin. »Komm rein Junge, ich bin gleich so weit.«
    In der Tür erschien ein Junge von vielleicht sechzehn Jahren mit einer Laterne in der Hand. Er hielt die Lampe hoch über den Kopf, um die Dunkelheit im Haus besser ausleuchten zu können. Als er den Raum betrat, sah er sich nach Julian um.
    »Gleich bin ich so weit Gerwin.«
    Julian verschloss die Truhe und erhob sich von seinem Hocker, streifte er seinen alten löchrigen Umhang ab und warf sich den aus der Truhe über. »Gerwin mein Junge, das Fest hat gerade erst begonnen. Meine Zuhörer laufen sicher nicht weg, weil ich mich ein bisschen verspäte.«
    Ein Lächeln huschte über Gerwins Jungengesicht.
    Er hatte den Mann sofort ins Herz geschlossen, als der ihn bei sich aufnahm. Gerwin klopfte vor über einem halben Jahr völlig abgerissen hungrig und zerlumpt an Julians Tür. Halb verhungert bettelte ihn der Junge um ein Stück Brot an. Julian gab dem hohlwangigen, abgemagerten Jungen mit dem krausen blonden Kopfhaar zu essen. Während dieser sein Essen heißhungrig in sich hinein schaufelte, fragte ihn Julian über das woher und wohin aus.
    Wie sich herausstellte, kam Gerwin aus Baud, einer Stadt, die zehn Tagesreisen im Süden lag. Er war vor den Schlägen und Misshandlungen seines Stiefvaters geflohen.
    »Lieber sterbe ich, als noch einmal zu diesem Sadisten zurückzugehen,« hatte ihm Gerwin beteuert. Julian nahm den Jungen in sein Haus auf. Überall erzählte er den Dorfbewohnern, die es hören wollten, dass Gerwin von einer weit entfernten Verwandten stamme. Da der Junge keinen anderen Verwandten
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