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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
Autoren: Britta Hasler
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flüsterte Julius und tastete nach dem Hals seines Freundes. Doch seine Hand war wie Eis, er spürte nichts mehr, keine Wärme und keinen Puls. „Halte durch! Sie kommen und helfen dir … halte durch!“
    Dann waren seine Beine frei, und Julius kam auf die Füße. Ihm schwindelte, doch die leiser werdenden Schritte seines Peinigers gaben ihm neue Kraft. Er humpelte dem Mann hinterher, hinein in den Schatten zwischen die Käfige. Gelbe Augen starrten ihn durch die Gitterstäbe hindurch an.
    „Helft mir “, wisperte er wie in einem Gebet an die Tiere, die ihn in der Dunkelheit zu beobachten schienen.
    Er lauschte auf das Knirschen im Kies. Wo war Lanz hingelaufen? Oder war er irgendwo zusammengebrochen und lag bereits im Sterben? Julius unterdrückte sein Keuchen, das ihm vorkam wie das schwere Atmen eines Bären, und hastete weiter. Er hoffte inständig, dass Gendarmen den Zoo stürmten und sich als Erstes darum kümmern würden, dass Lischka versorgt wurde. Er wagte nicht, zu denken, dass er sterben könnte.
    „Wo bist du?“, zischte er in die Finsternis.
    Er näherte sich einem der großen neuen Gebäude, in denen Aquarien und Terrarien zu bestaunen waren. War da nicht ein Schatten durch den Eingang gehuscht? Ohne nachzudenken, setzte er dem dunklen Schemen nach und fand sich in einem dämmrigen Gewölbe wieder. Der Mond leuchtete schwach durch das Glasdach und warf bizarre Schatten. Julius verfluchte sich, dass er und Lischka dieses Haus bei ihrem Rundgang nicht betreten hatten. Er hatte keine Ahnung, wie groß das Gebäude war, und wusste nicht, wo man sich hier verstecken konnte.
    Als seine Augen sich an das eigenartige Licht gewöhnt hatten, sah er, dass ringsum ein hüfthohes Gitter verlief, hinter dem eine Vertiefung zu sein schien. Wahrscheinlich befanden sich dort die Gehege der Echsen.
    Julius blieb regungslos stehen und lauschte in die Finsternis, ob er das Atmen des anderen hörte, doch alles blieb still. Nur ein gespenstisches Zirpen und Knacken ertönte zwischen den Glaskästen und den Wasserbecken. In der Luft lag ein erdiger, fremdartiger Geruch.
    Er machte die majestätischen Konturen eines Leguans aus, der in seinem Terrarium hockte und sich nicht bewegte.
    Julius schlich weiter und blickte aufmerksam in alle Ecken und Winkel, ob Alois Lanz sich irgendwo versteckt hielt.
    Ein raues Züngeln hallte zwischen den Glaswänden wider, und Julius zuckte zusammen. Plötzlich wurde ihm die Präsenz der Tiere bewusst, Tiere, die er noch nie zuvor gesehen hatte, von deren Existenz er keine Ahnung hatte. Sie mochten zwar sicher in ihren Terrarien sitzen, doch ihre bloße Anwesenheit löste in Julius eine tiefe Beklemmung aus. In dieser gespannten Stille spürte er mit einem Mal wieder die Schmerzen in seiner Bauchdecke, die in den letzten Minuten geschwiegen hatten. Jetzt durchzuckten ihn die tiefen Schnitte wie Blitze, und als er seine Hand darauflegte, waren seine Finger nass von Blut.
    Da raste, wie ein Albtraum, der unerwartet aus den Tiefen der Nacht kommt, der Schatten auf Julius zu und packte ihn. Als hätte der andere minutenlang die Luft angehalten, ergoss sich nun ein animalisches, gieriges Keuchen über ihn.
    Lanz hatte immer noch genug Kraft, um Julius gegen das umlaufende Gitter zu drücken, hinter dem ein unbekannter Abgrund lauerte. Julius ertappte sich bei der Vorstellung, welche Tiere dort unten wohl ihrem Schauspiel zusahen und sich bereits das ledrige Maul leckten. Lanz’ Atem ging röchelnd, und er versuchte mit letzter Kraft, Julius über die Absperrung zu drücken.
    „Was für ein Bild … soll das denn jetzt … darstellen …?“, presste Julius hervor und versuchte, seinen Körper von dem gebogenen Eisengitter wegzustemmen. Das Blut aus seiner Bauchwunde vermischte sich mit dem aus Lanz’ Schusswunde. Sie waren beide am Ende, das wusste Julius. Es war nur noch eine Sache von Sekunden, und einem von ihnen würden die Kräfte schwinden.
    Die starken, sehnigen Hände, die ihn hielten, waren glitschig vom Blut und rutschten immer wieder ab. Lanz stieß grollende Laute aus, und ein Röcheln drang aus seiner Brust.
    Da vernahm Julius plötzlich ein Zischen. Es kam aus der Grube, um die das Gitter herumlief. Aus den Augenwinkeln nahm er dort unten die Schatten von Steinen und Sträuchern wahr. Und dann sah er die huschenden Leiber, hörte ein feindseliges Fauchen und das zarte Rascheln von Blättern. Irgendetwas in der Grube richtete sich schwankend auf und reckte sich empor.
    Die
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