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Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Titel: Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
Autoren: Irvin D. Yalom
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sämtlicher Habseligkeiten des Künstlers warten. Er schiebt die Gaffer auf der Treppe unsanft zur Seite, tritt aus der Haustür, atmet die salzige Luft ein und stolpert auf das Wirtshaus an der Ecke zu.
    In Delft, sieben Kilometer weiter südlich, geht der Stern eines anderen Künstlers auf. Der fünfundzwanzig Jahre alte Johannes Vermeer wirft einen letzten Blick auf sein neues Werk Bei der Kupplerin . Er begutachtet es von rechts nach links. Als erstes die Prostituierte mit der prächtigen, gelben Joppe. Gut. Gut. Das Gelb glänzt wie poliertes Sonnenlicht. Und die Gruppe von Männern, die sich um sie schart: Ausgezeichnet – jeder von ihnen könnte ohne weiteres aus der Leinwand heraustreten und ein Gespräch beginnen. Er beugt sich näher heran, um den angedeuteten und doch durchdringenden Blick des anzüglich grinsenden jungen Mannes mit dem geckenhaften Hut einzufangen. Vermeer nickt seiner eigenen Miniatur zu. Ausgesprochen zufrieden signiert er das Gemälde in der rechten, unteren Ecke mit seinem Namen und einem Schnörkel.
    Zurück in Amsterdam, in der Breestraat Nummer 57, nur zwei Straßen von der bevorstehenden Versteigerung in Rembrandts Haus entfernt, macht sich ein fünfundzwanzig Jahre alter Kaufmann (nur wenige Tage älter als Vermeer, den er sehr verehren, aber nie persönlich treffen wird) daran, seinen Import-Export-Laden zuzusperren. Für einen Krämer ist er eigentlich zu schmal und zu hübsch. Seine Gesichtszüge sind perfekt, seine olivfarbene Haut makellos, die Augen groß, dunkel und schwermütig.
    Er sieht sich ein letztes Mal um: Viele Regale sind so leer wie seine Taschen. Seeräuber haben seine letzte Lieferung aus Bahia abgefangen, und nun gibt es keinen Kaffee, keinen Zucker und auch keinen Kakao. Über eine Generation lang betrieb die Spinoza-Familie ein blühendes Handelsgeschäft, doch nun ist für die Spinoza-Brüder Gabriel und Bento nur noch ein kleines Einzelhandelsgeschäft übrig geblieben. In der staubigen Luft, die Bento Spinoza einatmet, macht er resigniert den übelriechenden Rattenkot aus, der den Duft der getrockneten Feigen, der Rosinen, des kandierten Ingwers, der Mandeln und der Kichererbsen begleitet und sich in die scharfen Dämpfe des spanischen Weines mischt. Er geht hinaus und stellt sich seinem täglichen Duell mit dem verrosteten Vorhängeschloss an der Ladentür. Eine unbekannte Stimme, die ihn gestelzt auf Portugiesisch anspricht, schreckt ihn auf.
    »Sind Sie Bento Spinoza?«
    Spinoza dreht sich um und sieht sich zwei Fremden gegenüber, jungen, erschöpften Männern, die anscheinend von weither angereist sind. Der eine, der ihn angesprochen hat, ist groß, und sein massiger, vierschrötiger Kopf ist vornübergebeugt, als sei er zu schwer, um ihn aufrecht zu halten. Seine Kleidung ist von guter Qualität, aber verschmutzt und verknittert. Der andere, in einer zerlumpten Bauerntracht, steht hinter seinem Gefährten. Er hat langes, verfilztes Haar, dunkle Augen, ein kräftiges Kinn und eine ebensolche Nase. Seine Körperhaltung ist steif. Nur die Augen bewegen sich, schießen wie verängstigte Kaulquappen hin und her.
    Spinoza nickt vorsichtig.
    »Ich bin Jacob Mendoza«, sagt der größere der beiden. »Wir müssen Sie sehen. Wir müssen mit Ihnen sprechen. Dies hier ist mein Vetter Franco Benitez, den ich gerade aus Portugal hergebracht habe. Mein Vetter …«, Jacob packt Franco an der Schulter, »… ist in einer Krise.«
    »Ja«, antwortet Spinoza. »Und?«
    »In einer ernsten Krise.«
    »Ja. Und warum suchen Sie mich auf?«
    »Uns wurde gesagt, dass Sie derjenige sind, bei dem wir Hilfe finden können. Vielleicht der Einzige.«
    »Hilfe?«
    »Franco hat allen Glauben verloren. Er zieht alles in Zweifel. Alle religiösen Rituale. Gebete. Sogar die Existenz Gottes. Er lebt in ständiger Furcht. Er schläft nicht. Er spricht davon, sich selbst zu töten.«
    »Und wer leitete Sie so in die Irre, dass er Sie hierher schickte? Ich bin nur ein Kaufmann, der ein kleines Geschäft betreibt. Und kein sehr profitables, wie Sie sehen.« Spinoza deutet auf das staubige Fenster, hinter dem die halbleeren Regale zu erkennen sind. »Rabbi Mortera ist unser spiritueller Führer. Sie müssen zu ihm gehen.«
    »Wir kamen gestern an, und heute Morgen wollten wir genau das tun. Aber unser Hausherr, ein entfernter Vetter, riet uns davon ab. ›Franco braucht einen Helfer, keinen Richter‹, sagte er. Er erzählte uns, dass Rabbi Mortera mit Zweiflern sehr streng umgeht. Er
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