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Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Titel: Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
Autoren: Irvin D. Yalom
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Bericht einen vielsagenden Satz: ›Auch diese Bibliotheken … enthalten ausserordentlich wertvolle frühe Werke, die zur Erforschung des Spinozaproblems (sic!) von besonderer Bedeutung sind.‹ Sie können sich den Bericht im Web ansehen, wenn Sie wollen – er befindet sich in den offiziellen Dokumenten des Nürnberger Prozesses.«
    Ich war wie vom Donner gerührt. »›Erforschung des Spinoza-Problems‹? Das verstehe ich nicht. Was meinte er damit? Was war das Spinoza-Problem der Nazis?«
    Wie auf Kommando hoben meine Gastgeber gleichzeitig die Schultern und drehten ihre Handflächen nach oben.
    Ich bohrte weiter: »Sie sagen also, dass sie wegen dieses Spinoza-Problems die Bücher in Sicherheit brachten und nicht wie so vieles in Europa einfach verbrannt haben?«
    Sie nickten.
    »Und wo wurde die Bibliothek während des Krieges gelagert?«
    »Das weiß niemand. Die Bücher waren einfach fünf Jahre lang verschwunden und tauchten 1946 in einem deutschen Salzbergwerk wieder auf.«
    »In einem Salzbergwerk? Nicht zu fassen!« Ich nahm eines der Bücher in die Hand – eine Ausgabe der Ilias aus dem sechzehnten Jahrhundert –, drückte es an mich und sagte: »Dann hat dieses alte Geschichtenbuch seine eigene Geschichte zu erzählen.«
    Meine Gastgeber führten mich durch das übrige Haus. Ich war zu einer günstigen Zeit gekommen – nur wenige Besucher hatten jemals die andere Hälfte des Gebäudes zu sehen bekommen, in dem über Jahrhunderte Abkömmlinge einer Arbeiterfamilie gewohnt hatten. Das letzte Familienmitglied war aber vor kurzem gestorben, und die Spinoza-Gesellschaft hatte die Immobilie sofort gekauft und gerade mit der Restaurierung begonnen, um sie später dem Museum anzugliedern. Ich schlenderte inmitten von Bauschutt durch die bescheidene Küche und das Wohnzimmer und stieg dann die schmale, steile Treppe zum kleinen, unspektakulären Schlafzimmer hinauf. Flüchtig sah ich mich in der einfachen Kammer um und wollte gerade wieder hinuntersteigen, als mein Blick auf einem dünnen, quadratischen Riss in einer Ecke der Zimmerdecke hängen blieb, der etwa sechzig mal sechzig Zentimeter groß war.
    »Was ist das?«
    Der alte Hausmeister stieg ein paar Stufen hinauf, um nachzusehen, und sagte mir, es sei eine Falltür, die in einen winzigen Dachbodenraum führte, wo zwei Juden – eine ältere Mutter mit ihrer Tochter – während des Krieges vor den Nazis versteckt gehalten wurden. »Wir gaben ihnen zu essen und haben uns um sie gekümmert.«
    Draußen ein Feuersturm! Vier von fünf holländischen Juden von den Nazis ermordet! Und währenddessen wurde oben im Spinoza-Haus rührend für zwei jüdische Frauen gesorgt, die sich den ganzen Krieg über auf dem Dachboden versteckt hielten. Und unten wurde das winzige Spinoza-Museum geplündert, versiegelt und von einem Beamten der Rosenberg-Einsatztruppe enteignet, der glaubte, dass seine Bibliothek den Nazis helfen könnte, ihr »Spinoza-Problem« zu lösen. Und was war ihr Spinoza-Problem? Ich fragte mich, ob dieser Nazi, Alfred Rosenberg, vielleicht seine eigenen Beweggründe hatte, um nach Spinoza Ausschau zu halten. Ich hatte das Museum mit einem Geheimnis betreten und verließ es nun mit deren zwei.
    Kurz danach begann ich zu schreiben.

1
    AMSTERDAM, APRIL 1656
    Wenn sich die letzten Sonnenstrahlen im Wasser des Zwanenburgwal spiegeln, macht Amsterdam Feierabend. Die Färber sammeln ihre magenta- und purpurfarbenen Stoffe ein, die auf den Steinufern des Kanals trocknen. Händler rollen die Markisen ein und schließen die Läden ihrer Verkaufsstände. Ein paar Arbeiter, die nach Hause schlurfen, bleiben kurz an den Heringsständen am Kanal stehen, genehmigen sich einen schnellen Imbiss mit holländischem Gin und setzen dann ihren Weg fort. Amsterdam bewegt sich träge: Die Stadt ist in Trauer, sie erholt sich noch immer von der Seuche, die erst wenige Monate zuvor einen von neun Menschen dahingerafft hat.
    Ein paar Meter von der Gracht entfernt, setzt in der Breestraat Nummer 4 der bankrotte und leicht angetrunkene Rembrandt van Rijn den letzten Pinselstrich auf sein Gemälde Jakob segnet die Söhne des Joseph , signiert es in der rechten unteren Ecke mit seinem Namen, wirft seine Palette auf den Fußboden, dreht sich um und steigt die schmale Wendeltreppe hinunter. Das Rembrandt-Haus, drei Jahrhunderte später dazu bestimmt, sein Museum und sein Denkmal zu werden, ist an diesem Tag Zeuge seiner Schmach: Es wimmelt von Bietern, die auf die Versteigerung
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