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Das Spinnennetz

Das Spinnennetz

Titel: Das Spinnennetz
Autoren: Joseph Roth
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alles dem Prinzen, was er sah, tat, erlebte. »Ich streife ihr das Hemd ab«, sagte Theodor, »Hoheit müssen wissen, sie hat braune Brustwarzen … ich beiße in ihre harte Brust!«
    »Sie sind ein famoser Junge«, sagte der Prinz.
    Er wiederholte diesen Satz auch später noch, als sie im Zimmer saßen und einen schwarzen Kaffee tranken und noch einen Likör. So nahe saßen sie beieinander, ihre Schenkel berührten sich, und der Prinz hielt Theodors Hand und drückte sie. Und auf einmal war Theodor nackt und der Prinz Heinrich ebenfalls. Der Prinz hat eine dichtbehaarte Brust und sehr dünne Beine. Seine Zehen sind ein bißchen verkrümmt. Theodor hat den Kopf gesenkt, und obwohl es ihm peinlich ist, muß er die Zehen betrachten. Er denkt, es wäre schon bei weitem besser, dem Prinzen ins Angesicht zu sehen. Das Angesicht, denkt er, ist der einzige bekleidete Körperteil des Prinzen. Der Prinz drückt aus einem Gummiballon einen kühlen, feinen Staubregen in die Luft.
    Theodor sieht zum ersten Mal seine ganze Nacktheit in einem großen Wandspiegel. Er kann feststellen, daß er eine weiße, rosa angehauchte Haut besitzt, rundlich geformte Beine, ein wenig gewölbte Brüste und leuchtende Brustwarzen wie zwei dunkelrote, winzige Kuppeln.
    Theodor liegt auf dem warmen, weichen Eisbärfell, und neben ihm atmet schwer und laut der Prinz Heinrich. Der Prinz beißt in Theodors Fleisch. Die Bartreste des Prinzen kratzen, seine gekräuselten Brust- und Beinhaare kitzeln Theodor.
    Er erwachte in einem halbdunklen Zimmer, und sein erster Blick traf ein großes Ölporträt des Prinzen an der Wand. In einer erschreckenden Wachheit sah er alle Ereignisse der vergangenen Nacht. Er kämpfte gegen sie vergeblich. Er versuchte, sie auszulöschen. Sie waren überhaupt nie gewesen. Er begann, an allerlei entfernte Dinge zu denken. Er konjugierte ein griechisches Verbum. Aber seine letzten Erlebnisse überfielen ihn, eine Schar zudringlicher Fliegen. Er stieg langsam die Stiege hinunter und nahm den Gruß eines alten ehrfürchtigen Dieners entgegen. Schon meldete das helle Geklingel der Straßenbahn die Nähe der Welt.
    Oh, die Nähe dieser reichen Welt, deren Millionen Schätze klangen und flimmerten. Die Straße erlebte er, den Gang der Frauen, Musik in den wiegenden Hüften, die stolze Gewißheit sicher schreitender Männer und seine eigene kleine Dürftigkeit in der Mitte.
    Geringer, als er je gewesen, verließ er das Haus. Immer schon war es so gewesen, daß er zurückweichen mußte, getroffen, wenn er sich erhaben gewähnt, verlassen und auf Wegen, die hinunterführten, sooft er Höhen entgegengestrebt war. Er wollte nicht zurück, er wollte hier bleiben. Und er blieb vor dem alten ehrfürchtigen Diener stehen und fragte nach dem Prinzen.
    Prinz Heinrich hielt die Füße in der gefüllten Schüssel unter dem Tisch, während er Frühstück aß. »Gu‘n Morjen, Theo!« sagte der Prinz und ließ Theodor stehen.
    Ganz nahe an den Tisch trat Theodor und sah den Prinzen an.
    Der Prinz brach ein Ei nach dem anderen auf und schüttete die Dotter in ein Glas.
    »Setz dich!« sagte er endlich. Und als hätte er sich jetzt erst erinnert: »Schon gegessen?«, und er schob Theodor Eier, Butter und Brot zu.
    Die Nahrung kräftigte Theodor. Er aß schweigsam, eine gute, wohltätige, klare Ruhe kehrte in ihm ein.
    Und plötzlich, als hätte sich die Zunge von jeder Abhängigkeit befreit, huschte seine hurtige Frage über den Tisch: ob der Prinz einen Sekretär brauche.
    Prinz Heinrich nickte, längst hat er die Frage erwartet. Er schreibt etwas auf seine Visitenkarte: »Trebitsch«, sagt der Prinz, nichts mehr. Und als Theodor aufsteht: »Gu‘n Morjen!«
    Und Theodor verläßt das Haus und geht durch den märzfrischen Tiergarten und saugt die Bläue des Himmels ein und das erste Zwitschern der Vögel und weiß, daß er bergaufwärts geht, obwohl die Straße eben ist. Und er weiß, daß man durch Abgründe muß und daß man vergessen soll. Ablegen will er hindernde Erinnerungen an die Ereignisse der vergangenen Nacht. Sie ist verschlungen von der strahlenden Bläue des Morgens.

III
    Trebitsch nahm ihn auf, bei feierlichem Kerzenglanz schwor Theodor einen langen Eid, setzte er seinen Namen auf ein Blatt Papier, dessen Inhalt er kaum gelesen hatte, seine Hand lag zwei Minuten lang in der behaarten Tatze eines Mannes, den man Detektiv Klitsche nannte, der über einem zerschossenen oder verkümmerten Ohrläppchen eine mangelhaft verhüllende glatte
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