Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Spinnennetz

Das Spinnennetz

Titel: Das Spinnennetz
Autoren: Joseph Roth
Vom Netzwerk:
Zelle, das betäubende, qualvolle Weiß der verschneiten Wachtpostennacht, den stechenden Frost in den Zehen.
    Der Traum drängte zum Ausbruch wie eine Krankheit, die lange unsichtbar in Gelenken, Nerven, Muskeln lebt und alle Blutgefäße des Körpers erfüllt, der man nicht entrinnen kann, es sei denn, man entrinne sich selbst. Und zufolge jener unbekannten Gewalt, welche Theodor schon oft geholfen hatte und die ihn lehrte, daß der Erfüllung jeder qualvollen Sehnsucht im letzten Moment eine günstige äußere Bedingung auf halbem Wege entgegenkommt, ereignete es sich, daß er den Doktor Trebitsch im Hause Efrussis kennenlernte.
    In der ersten Viertelstunde ihrer Bekanntschaft sprach der Doktor Trebitsch unermüdlich, und sein blonder, langer, in sanften, dunkelnden, an den Rändern gelichteten Strähnen herabfließender Bart bewegte sich vor den Augen Theodors in regelmäßigem Auf und Ab und störte die Aufmerksamkeit des Zuhörers. Leise plätscherten die Worte des Blondbärtigen, eines und das andere blieb eine Weile in Theodor haften und verwehte wieder. Noch nie war er einem Vollbart so nahe gewesen. Plötzlich stöberte ihn der Klang eines Namens aus seiner betäubten Zerstreutheit auf. Es war der Name des Prinzen Heinrich. Und mit dem Instinkt eines Mannes, der zufällig einem Prunkstück aus seiner verschütteten Vergangenheit begegnet und es mit rettend hastiger Gebärde an die Brust reißt, rief Theodor: »Ich war Leutnant im Regiment Seiner Hoheit, des Prinzen Heinrich!«
    »Der Prinz wird sich sehr freuen«, sagte Doktor Trebitsch, und seine Stimme war nicht mehr fern, sondern ganz, ganz nahe.
    Der Stolz füllte, wie etwas Körperliches, Theodors Brustkorb, und sein gestärktes Hemd wölbte sich.
    Sie fuhren im Auto ins Kasino. Und Theodor saß im Wagen, nicht wie vor einer Woche, als er mit Frau Efrussi fuhr. Nicht mehr fühlte er, gedrückt und dünn, die Ecke zwischen Seitenwand und Rückenpolster. Er breitete sich aus. Sein Körper fühlte durch Paletot, Rock, Weste die sanfte, kühle Nachgiebigkeit des Leders. Die Füße lehnte er gegen den vorderen Sitz. Die Zigarre erfüllte das Coupé mit dem satten Duft einer überflüssigen Behaglichkeit. Theodor öffnete das Fenster und fühlte die schnelle, schießende kalte Märzluft mit der Wollust eines innerlich Durchwärmten.
    Man trank Schnaps und Bier, und der Abend im Kasino erinnerte an eine Kaiser-Geburtstagsfeier. Graf Straubwitz von den Kürassieren hielt eine Rede. Man brach in ein dreifaches Hurra aus. Jemand erzählte Anekdoten aus dem Kriege. Theodor war Gast an der Seite des Prinzen. Nicht einen Moment verlor er Seine Hoheit aus den Augen. Er ignorierte seinen Nachbarn zur anderen Seite. Es galt, allezeit auf eine Frage des Prinzen vorbereitet und zur Stelle zu sein. Nicht für die Dauer eines Augenblicks vergaß Theodor, daß er jetzt endlich die Gelegenheit ergreifen konnte, Teile seines Traums zu verwirklichen. War er noch der kleine, unbekannte Hauslehrer eines jüdischen Knaben? Kannte ihn der Prinz nicht? Kannten ihn nicht alle Herren, die hier um den Tisch saßen? Und obwohl der ungewohnte Alkohol allmählich Theodors Sinn für die augenblicklichen kleinen Wirklichkeiten einschläferte, blieb doch eine große helle Heiterkeit zurück, und die Sicherheit kehrte ihm so oft wieder, als er sie brauchte, um dem Prinzen eine Serviette, ein Glas, Feuer für die Zigarette zu reichen.
    Als ihn der Prinz aufforderte, von jener Schlacht bei Stojanowics zu erzählen, die das Regiment so löblich mitgemacht hatte, begann Theodor aufs Geratewohl, etwas lauter, als er gewöhnlich zu sprechen pflegte. Es ging eine Weile ganz gut, bis er bemerkte, daß er die Erzählung angefangen hatte, ohne sich den Schluß zurechtgelegt zu haben. Er hielt ein, und es erschütterte ihn die große, lauschende Stille. Er wußte noch, daß seine letzten Worte »Hauptmann von der Heidt« gewesen waren. »Dieser Hauptmann also«, fuhr Theodor fort, aber das Ende des Satzes fand er nicht mehr. »Er lebe hoch! Hurra!« fiel der Doktor Trebitsch ein, und man feierte den Hauptmann von der Heidt.
    Dann stellte es sich heraus, daß Theodor und der Prinz denselben Weg nach Hause hatten, und sie saßen zusammen im Auto. Theodor redete unterwegs. Frau Efrussi fiel ihm ein, und er erzählte von ihr dem Prinzen. Ihre großen grünen Augen sah er. Ihre Schultern. Er streifte ihr die Kleider ab, sie stand vor ihm in der Unterwäsche. Sie trug violette Unterhöschen. Er erzählte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher