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Das Spinnennetz

Das Spinnennetz

Titel: Das Spinnennetz
Autoren: Joseph Roth
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Geschäftsfreund meines Vaters. Er war groß und bedeutend in der Manufaktur. Sein Sohn hätte besser daran getan, im Geschäft zu bleiben. Ich kenne die Kindereien des Doktor Trebitsch. Sie sind der dritte Hauslehrer, den er mir wegnimmt. Er ist ein stiller Narr.«
    »Er ist ein Freund Seiner Hoheit des Prinzen Heinrich.«
    »Ja«, sagt Efrussi, »der Prinz hat bekanntlich viele Freunde.«
    »Was wollen Sie damit sagen? Ich war Leutnant im Regiment des Prinzen.«
    »Des Prinzen Regiment war bestimmt ein tapferes. Übrigens halte ich sehr viel vom Prinzentum im allgemeinen, aber sehr wenig vom Prinzen. Aber das gehört nicht hierher …«
    »Doch«, sagte Theodor und, ohne Efrussis letzten Satz begriffen zu haben: »Sie sind Jude!«
    »Das ist mir nicht neu.« Efrussi lächelte. »Auch Trebitsch ist Jude, ohne daß ich den Wunsch hätte, mich mit ihm zu vergleichen. Aber ich verstehe Sie, ich lese ja die nationalen Blätter. Ich inseriere sogar in der ›Deutschen Zeitung‹. Sie wollen also nicht mehr meinen Sohn unterrichten. Hier ist Ihr letzter Monatsgehalt. Lassen Sie sich durch nichts abhalten, ihn zu nehmen. Er gebührt Ihnen!«
    Theodor nahm ihn. Seine Weigerung hätte die Diskussion fortgesetzt. Und gebührte er ihm nicht wirklich? Hatte er nicht schon beinahe drei Wochen vom laufenden Monat weg? Er nahm, verneigte sich und ging. Und wußte nicht, daß Efrussi den Major Pauli von der Stadtkommandantur anrief und sich über den Verlust des Hauslehrers beklagte: »Ihre Agitation geht zu weit!« sagte Efrussi. Und der Major entschuldigte sich.
    Theodor hat die erste Aufgabe erfüllt. Er hat ein blutendes Herz mitgenommen. Er wird niemals mehr Frau Efrussi sehen.
    Und es ist ihm, als hätte er jetzt erst seinen langen klingenden Eid geleistet. Diese Kündigung war wie ein donnernd zugeschlagenes Tor, Abschluß eines Weges, Ende eines Lebens.

IV
    Drei Tage, drei Nächte genoß Theodor sein Geld. Es nahm ihm die Besinnung, zu wählen und sich mit Bedacht zu freuen. Er beschlief Mädchen von der Straße und kostspieligere, die in den Lokalen warteten. Er trank Wein, der ihm nicht schmeckte, und süße Liköre, die ihm Qual verursachten und deren widerlichen Geschmack er durch Kognak loszuwerden versuchte. Er schlief in schmutzigen Gasthöfen und entdeckte spät, daß er für die gleiche Summe alle paradiesischen Genüsse eines großen Hotels hätte kaufen können. Er ging einmal in die Gesellschaft seiner Kameraden, zahlte ihnen ein paar Runden und wurde ausgelacht. Jedes neue Mißlingen einer verschwenderisch unternommenen Freude stachelte seinen Ehrgeiz auf, und nur aus Angst vor dem angedrohten Tode hielt er in der Berauschtheit mit seinem Geheimnis zurück und dämmte krampfhaft das Wort hinter widerstrebenden Lippen: ich, Theodor Lohse, bin Mitglied einer geheimen Organisation.
    Wie würden sie ihn bewundern, wenn sie es wüßten! Aber fast so köstlich, wie das Bewundertsein gewesen wäre, war das Geheimnis, in dem er lebte, und das Inkognito. Er war im Begriff, an den unsichtbaren Fäden zu ziehen, an denen, wie er aus den Zeitungen wußte, Minister, Behörden, Staatsmänner, Abgeordnete hingen. Und er trug immer noch das unscheinbare Gewand eines Rechtshörers und Hauslehrers. Er ging an einem Polizisten vorbei und wurde nicht erkannt. Niemand sah ihm seine Gefährlichkeit an. Manchmal gefiel es ihm, seine Verborgenheit zu verstärken, und er trat für einige Minuten in einen dunklen Hausflur und bildete sich ein, jemanden zu beobachten, ohne selbst bemerkt zu werden. Er bereitete sich auf seinen Beruf vor, indem er eine eingebildete Aufgabe ausführte. Er trat in irgendein Ministerium und fragte den Portier nach einem beliebigen Namen, er las die Liste der Beamten über die Schulter des suchenden Portiers und ging zufrieden davon. Er begann sich um Dinge zu kümmern, die ihn niemals interessiert hatten. Er kaufte revolutionäre Blätter, er ging, um ein gleichgültiges Inserat aufzugeben, in die Redaktion der »Roten Fahne« und stellte fest, daß sie leicht zu erobern war. Man sollte mit ihm zufrieden sein. Er würde – fiel ihm eine Aufgabe zu – über wichtige Dinge schon orientiert sein.
    Mit jenem hitzigen Fleiß, mit dem er einmal freiwillig seinen Einzug in die Kaserne gehalten hatte, machte er sich an noch nicht erhaltene Aufträge, nicht verlangte Arbeiten. Freilich war es beim Regiment leichter, weil übersichtlicher. Man kannte den Zimmerkommandanten genau, den Schulleiter, den Sergeanten und
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