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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel
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nützt was, weil ich hinfallen werde, sobald wir dort oben sind. Du wirst direkt vor mir sein, und die Wachen werden stehen bleiben und sich um mich kümmern — sie werden schreckliche Angst haben, dass ich mir ein Bein gebrochen hätte oder so was. Und dann trittst du einfach an die Mauerbrüstung und ... tust es.«
    Er sah sie voller Bewunderung an. »Du bist wirklich schlau, Strohkopf.«
    »Und du brauchst jemanden wie mich, der dafür sorgt, dass du keinen Ärger kriegst, Rotschopf. Also, jetzt zu deinem Versprechen.«
    »Nämlich?«
    »Ich will, dass du bei unserem Blutspakt schwörst, das nächste Mal, wenn du so was vorhast, wie eine wertvolle Statue aus der Kapelle zu stehlen, erst mal mit mir zu reden.«
    »Ich bin nicht dein kleiner Bruder ...!«
    »Schwör's. Oder der Schwur, den ich geleistet habe, gilt nicht mehr.«
    »Ach, na gut. Ich schwör's.« Er lächelte leise. »Jetzt ist mir schon wohler.«
    »Mir nicht. Denk doch nur mal an all die Bediensteten, die durchsucht und sogar geschlagen wurden, als Vater Timoid die Statue gesucht hat. Sie konnten doch nichts dafür!«
    »Das ist doch immer so. Sie sind es gewohnt.« Aber wenigstens hatte er den Anstand, ein bisschen bekümmert dreinzuschauen.
    »Und was ist mit Kernios? Wie wird der es wohl finden, wenn seine Statue zuerst gestohlen und dann ins Meer geworfen wird?«
    Barricks Gesicht verschloss sich wieder. »Das ist mir egal. Er ist mein Feind.«
    »Barrick! Sprich nicht so über die Götter!«
    Er zuckte die Achseln. »Gehen wir. Die Simeon hat die Suche inzwischen bestimmt aufgegeben. Wir kommen später noch mal hierher und holen die Statue. Wir können sie ja morgen zur äußeren Mauer bringen.« Er stand auf und streckte dann die gesunde Hand seiner Schwester hin, die mit ihren langen Röcken kämpfte. »Wir sollten uns das Blut von den Händen waschen, bevor wir in den Palast zurückgehen, sonst wollen sie bestimmt wissen, wo wir waren.«
    »So viel Blut ist es doch nicht.«
    »Genug, dass sie fragen werden. Sie stellen nun mal schrecklich gern Fragen — und Blut fällt jedem auf.«
    Briony öffnete die Tür der Vorratskammer, und so leise wie Geister schlüpften sie in den Gang hinaus. Im Thronsaal herrschte ebenfalls eine seltsame Stille — Grabesstille, als ob das riesige, alte Gemäuer die Luft angehalten hätte, um den flüsternden Stimmen in der Vorratskammer zu lauschen.

ERSTER TEIL - MASKEN

1

Auf der Flucht
    Wenn, wie viele der Tiefen Stimmen glauben, das Dunkel ebenso etwas ist wie das Licht, was kam dann als erstes nach dem Nichts — das Dunkel oder das Licht?

Die Gesänge der ältesten Stimmen behaupten, dass da ohne einen Hörenden kein erstes Wort sein könne: dass das Dunkel war, ehe das Licht wurde. Die einsame Leere gebar das Licht der Liebe, und danach schufen sie alles, was sein würde — das Gute und das Schlechte, das Lebendige und das Unbelebte, das Gefundene und das Verlorene.
    Einhundert Grundsteine,
Buch der Trauer
    Es war ein schrecklicher Traum. Der junge Dichter Matty Kettelsmit trug eine Trauerode für Barrick vor, lauter hochtrabenden Quatsch über die liebenden Arme Kernios' und den warmen Schoß der Erde, aber Briony sah mit Entsetzen, wie der Sarg ihres Zwillingsbruders wackelte und bebte. Etwas darin wollte heraus, und der alte Hofnarr Puzzle mühte sich, den Sarg zuzuhalten. Er umklammerte ihn mit der ganzen Kraft seiner dürren Arme, während der hölzerne Kasten unter ihm zitterte und der Deckel knackte und ächzte.
    Lasst ihn raus,
wollte sie schreien, konnte aber nicht — ihr Schleier war so dicht und lag so eng an, dass sie nichts herausbrachte.
Sein Arm, sein verkrüppelter Arm!
Was musste er für Schmerzen leiden, ihr armer, toter Barrick, wenn er in dieser Enge so heftig kämpfte.
    Andere Anwesende, Höflinge und königliche Garden, halfen dem Hofnarren, den Deckel niederzudrücken. Dann trugen sie den Sarg hastig aus der Kapelle. Briony eilte hinterher, doch statt in die Sonne des grasbewachsenen Friedhofs führte der Ausgang der Kapelle direkt in ein Labyrinth von dunklen, steinernen Gängen. In ihren sperrigen Trauerkleidern konnte Briony mit dem eiligen Trauerzug nicht Schritt halten und verlor ihn rasch aus den Augen; bald hörte sie nur noch das erstickte Keuchen ihres geliebten Zwillingsbruders, der dort gefangen im Sarg lag, aber auch diese letzten Laute wurden immer schwächer ...
    Mit rasendem Herzen fuhr Briony hoch und fand sich in eiskaltem Dunkel, aus dem ferne Sterne
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