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Das silberne Schiff - [Roman]

Das silberne Schiff - [Roman]

Titel: Das silberne Schiff - [Roman]
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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größer als er. »Erinnerst du dich an vergangenen Herbst, als ich zu dir sagte, Kayleen komme mir irgendwie so verloren vor, dass ich kaum an sie herankam?«
    Er legte seine Hand über meine, mit der ich mich an der Stange festhielt. »Ja, ich erinnere mich.«
    »Ich habe Angst um sie. Vielleicht ist sie zu anders geworden, ähnlich wie Joseph.«
    »Hast du mit Gianna gesprochen?«
    »Nicht in diesen Tagen, nicht lange genug, um nach Kayleen fragen zu können. Außerdem ist Gianna viel älter als wir. Sie ist etwas anderes als eine richtige Freundin .« Für einen Moment spürte ich tiefe Verbitterung. »Außerdem weißt du, wer hier ist. Garmin und die meisten anderen in unserem Alter haben sich nicht verändert. Also dürfen wir nicht davon ausgehen, dass sie nett zu Kayleen sind.«
    »Ich weiß.« Liam sprang hoch und hockte sich neben mich auf die Stange. »Aber man kann auch nicht behaupten, dass die Ostsippe uns liebt. Zum Teil liegt es sicherlich auch an ihr, wie sie behandelt wird. Wenn sie sich schon von uns fernhält, stell dir nur vor, wie sie es bei allen anderen machen dürfte.«
    Ich rückte näher an ihn heran, bis sich unsere Beine berührten. »Trotzdem würde ich ihr gern helfen, wenn ich kann. Ich glaube … vielleicht lebt sie schon zu sehr im Netz und nicht genug in der realen Welt.«
    »Vielleicht.«
    Sein Profil im Zwielicht ließ meine Brust anschwellen. Ihn einfach nur anzusehen gab mir das Gefühl, dass ich von den Gehegestangen abheben könnte, um auf dem Scheunendach zu landen. »Wenn sie bei uns in der Wildnis wäre, würde sie nicht so viel Zeit im Netz verbringen. Da draußen muss man ständig auf der Hut sein.«
    Liam seufzte. »Ich frage mich, ob sie dazu genügend Konzentration aufbringt. Ich traue ihr nicht zu, dass sie allein reisen kann. Jemand würde sie holen müssen, und in diesem Sommer werden wir sehr weit fort sein, beim Zornberg. Das wäre viel zu schwierig.«
    Ich nickte. »Eigentlich müsste ich ihr helfen können. Wir beide waren uns einmal sehr nahe …«
    »Dazu müsste sie dir erlauben, sich helfen zu lassen.« Er legte einen Arm um meine Schulter und zog mich zu sich heran. Dadurch brachte er uns ein wenig aus dem Gleichgewicht, so dass ich die Stange fester umklammern musste. »Du kannst nicht jedes Problem lösen.«
    Das konnte ich nie. Das hatten immer nur wir alle geschafft. Ich vermisste Jennas wachsames Auge und ihre seltsame Art, uns etwas beizubringen, und ich vermisste Bryans stille Kraft. Ich vermisste sogar die eigensinnige und verlorene Alicia mit all ihrem Schmerz und all ihrer Wut. Doch am meisten vermisste ich Joseph. Er hätte Kayleen eine Hilfe anbieten können, zu der ich nicht imstande war, denn auch er ritt mit dem Wind. Und noch viel mehr. Er konnte ein Raumschiff fliegen. Wo war er, und wie sehr hatte er sich schon verändert?
    Liam schien meine Sehnsucht zu spüren, denn er hielt mich fest und summte leise ein Lied, das die Felder des Sommers beschrieb. Ich blickte auf und sah einen Himmel voller Sterne, die sich um Treue und Sommer versammelten. Ich suchte nach einem dritten Mond, was ein günstiges Omen gewesen wäre, aber es gab keinen.
    Die Beleuchtung der Scheune erlosch.
    »Warum ist das Licht ausgegangen?«, fragte Liam.
    »Weil ich es nicht mehr ertragen konnte, euch beide zu sehen«, sagte Kayleen. »Weil ich verrückt bin und verrückte Dinge tue. Weil ich zu viel im Netz und zu wenig in der realen Welt lebe.« Ihre vom Schmerz gezeichnete Stimme, die vom Dach der Scheune kam, machte eine kurze Pause. »Weil man mir nicht zutraut, allein zu reisen.«
    Ich setzte mich auf. Wie viel hatte sie mitgehört? »Kayleen?«
    Sie antwortete nicht.
    Ich schaltete meine Taschenlampe ein und richtete den Strahl nach oben, um nach ihr zu suchen. Wir riefen sie wieder, und Liam kletterte mit meiner Lampe aufs Dach. Nach einer Weile rief er: »Sie ist nicht mehr da.«
    Er kletterte herunter und stand in einiger Entfernung von mir da. Die Nähe zwischen uns fühlte sich durch ihre plötzliche Abwesenheit unbehaglich an. Sie war schnell. Wenn sie uns hier allein in der Dunkelheit stehen lassen wollte, wo sie sich auskannte, war sie dazu in der Lage. Ich blickte zu der Stelle hinauf, wo die Lampe gebrannt hatte, und sprach, in der Hoffnung, dass sie immer noch nahe genug war, um mich zu verstehen. »Kayleen. Wir machen uns einfach nur Sorgen um dich. Du fehlst mir.«
    Die Gebras stampften leise in ihren Ställen, und ein kühler Wind fuhr sanft durch
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