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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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und sie war kein Opfer. Sie willigte nur ein, daß Willie einen fuchsteufelswilden Brief schrieb, in dem er juristische Schritte ankündigte, sollte seiner Mandantin noch einmal gedroht werden. Ohne Absprache fügte Willie hinzu, falls die Frau das Problem zu lösen gedachte, solle sie ihren Mann an die kurze Leine nehmen. Sofern sie zu denen gehörte, die notfalls einen Mafioso anheuern, um einer Rivalin zu schaden, würde der Brief sie nicht aufhalten, aber immerhin machte er deutlich, daß Juliette nicht völlig allein dastand. Nach nicht einmal einer Woche bekam Willie einen Anruf voneinem Anwalt aus Chicago, der ihm versicherte, es liege ein Mißverständnis vor und die Drohungen würden sich nicht wiederholen.
    Juliette litt monatelang wie ein Hund und mußte von der ganzen Familie gehätschelt werden, aber ich hätte diese traurige Episode nicht erzählt, wenn Juliette es mir nicht erlaubt und Willies Vorhersage sich nicht erfüllt hätte. Ich stellte Juliette als meine Assistentin ein, sie nahm Spanischunterricht und wurde Teil des literarischen Bordells von Sausalito, wo sie in Ruhe mit Lori, Willie und Tong arbeiten kann, die auf sie achtgeben und jeden untreuen Ehemann in die Flucht schlagen würden, der in wollüstiger Absicht an ihre Tür klopfte. Noch vor Ablauf des Jahres saßen wir alle beim Abendessen um den Tisch der Schloßherrin, und Juliette erhob ihr Glas, um auf die verflossenen Liebschaften zu trinken. »Auf Ben!« stimmten wir wie aus einem Mund ein, und sie lachte herzhaft. Jetzt warte ich, daß die Planeten sich hübsch aufreihen und ihr den Mann ohne Furcht und Tadel bescheren, der sie glücklich macht. Angeblich könnte es bald soweit sein.

Die Großmutter geht mit dir
    Schon seit einiger Zeit lebte Großmutter Hilda in Madrid bei ihrer Tochter, die dort zusammen mit ihrem zweiten Mann im diplomatischen Dienst war. Im letzten Jahr hatte sie uns keinen monatelangen Besuch mehr gemacht, denn das Alter war schlagartig über sie gekommen, und sie wagte es nicht mehr, allein zu reisen. Im Chile der sechziger Jahre war ich eine junge Journalistin gewesen, die mit drei Jobs jonglierte, um sich über Wasser zu halten, aber daß ich zwei Kinder bekam, machte mein Leben nicht schwieriger, weil ich tatkräftig unterstützt wurde. Bevor ich morgens zur Arbeit ging, brachte ich dich, schlafend und in einen Schal gehüllt, bei meiner Schwiegermutter, der wunderbaren Granny, oder bei Großmutter Hilda vorbei, die sich um dich kümmerten, bis ich dich gegen Abend wieder abholte. Als du dann in die Schule kamst, war dein Bruder an der Reihe, der von den beiden Großmüttern verhätschelt wurde wie der Erstgeborene eines Emirs. Als wir nach dem Putsch nach Venezuela emigrierten, vermißtet ihr zwei nichts mehr als eure beiden Bilderbuchgroßmütter. Die Granny, die nur für ihre Enkel gelebt hatte, starb zwei Jahre später vor Kummer. Großmutter Hilda verlor ihren Mann und kam nach Venezuela, weil dort ihre einzige Tochter, Hildita, lebte, und fortan wohnte sie mal bei ihr, mal bei uns. Meine Geschichte mit Hilda begann, als ich etwa siebzehn Jahre alt war. Ihre Tochter war die erste Frau meines Bruders Pancho; die beiden hatten sich mit vierzehn in der Schule kennengelernt, waren zusammen durchgebrannt, hatten geheiratet, einen Sohn bekommen, sich scheiden lassen, einander ein zweites Mal geheiratet, eine Tochter bekommen und sich ein zweites Mal scheiden lassen. Insgesamt verbrachten sie über ein Jahrzehnt damit, einander zu lieben und zu hassen,und Großmutter Hilda sah sich das Trauerspiel an, ohne einen Ton dazu zu sagen. Nie hörte ich ein böses Wort von ihr gegen meinen Bruder, der vielleicht mehr als eins verdient gehabt hätte.
    Irgendwann in ihrem Leben hatte Großmutter Hilda beschlossen, ihre Rolle bestehe darin, ihrer kleinen Familie, zu der sie mich großzügig zählte, zur Seite zu stehen, und dank ihrer sprichwörtlichen Diskretion und ihrer guten Laune füllte sie diese Rolle wundervoll aus. Obendrein war sie zäh wie ein Maultier. Sie brachte es fertig, mit dir, Nico und einem halben Dutzend weiterer Halbwüchsiger auf ein Eiland in der Karibik zu fahren, auf dem es kein Wasser gab und das man nur erreichte, wenn man, dicht gefolgt von einem Schwarm Haie, ein heimtückisch brodelndes Meer überquerte. Der Fährmann setzte euch mit einem Berg Campingausrüstung am Strand aus, und man darf von Glück sagen, daß er sich eine oder zwei Wochen später daran erinnerte, euch wieder

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