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Das Schwert in Der Stille

Das Schwert in Der Stille

Titel: Das Schwert in Der Stille
Autoren: Lian Hearn
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gewesen war, als ich zum Schloss zurückging. Ich hatte Iida nicht getötet, aber jeder würde annehmen, ich hätte es getan und damit gegen die ausdrücklichen Wünsche des Stamms verstoßen. Wenn ich es abstritt, würde ich Kaede ungeheuer belasten. Ich hatte nicht vor, immer den Gehorsam zu verweigern. Ich brauchte nur etwas mehr Zeit.
    Es fiel mir leicht, im Durcheinander dieses Tages aus dem Haus zu schlüpfen. Ich ging zu dem Gästehaus, in dem ich mit Shigeru gewohnt hatte. Die Eigentümer waren vor Arais Armee geflohen und hatten fast alle ihre Habe mitgenommen, doch viele unserer Sachen waren noch in den Zimmern, darunter die Skizzen, die ich in Terayama gemacht hatte, und der Schreibkasten, auf dem Shigeru mir seinen letzten Brief geschrieben hatte. Traurig betrachtete ich die Dinge. Das Klagelied des Leids wurde immer lauter in mir und schrie nach Aufmerksamkeit. Es kam mir vor, als könne ich Shigeru im Zimmer spüren, ihn an der offenen Tür sitzen sehen, während es Nacht wurde und ich nicht zurückkam.
    Ich nahm nicht viel mit, Kleidung zum Wechseln, ein wenig Geld; dann holte ich Raku, mein Pferd, aus dem Stall. Shigerus Rappe, Kyu, war verschwunden wie die meisten Otoripferde, aber Raku war noch da; er war störrisch und nervös wegen des Brandgeruchs über der Stadt und jetzt erleichtert, mich zu sehen. Ich zäumte ihn auf, band den Korb mit Iidas Kopf an den Sattelbügel und ritt aus der Stadt, wobei ich mich unter die Menschenmengen auf der Straße mischte, die vor den näher rückenden Soldaten flohen.
    Ich ritt schnell und schlief nachts nur wenig. Das Wetter hatte aufgeklart, die Luft war frisch und leicht herbstlich. Täglich hoben sich die Berge klar umrissen von einem strahlend blauen Himmel ab. Einige Bäume hatten schon goldene Blätter. Klee und Pfeilwurz blühten. Vermutlich war es schön, doch ich sah nirgendwo Schönheit. Ich wusste, dass ich über meine nahe Zukunft nachdenken sollte, doch ich ertrug es nicht, mich mit meiner jüngsten Vergangenheit zu beschäftigen. Ich war in einem Zustand des Leids, in dem ich es nicht aushielt, vorwärts zu gehen. Ich wollte nur zurück, zurück zu dem Haus in Hagi, zurück in die Zeit, als Shigeru lebte, bevor wir nach Inuyama gingen.
    Am Nachmittag des vierten Tages, als ich gerade durch Kushimoto geritten war, wurde mir bewusst, dass die Reisenden auf der Straße mir jetzt entgegenkamen. Einem Bauern, der ein Packpferd führte, rief ich zu: »Was ist dort vorn los?«
    »Mönche! Krieger!«, schrie er zurück. »Sie haben Yamagata erobert. Die Tohan fliehen. Sie sagen, Lord Iida ist tot!«
    Ich grinste. Was würden sie wohl tun, wenn sie in das grausige Gepäck an meinem Sattel schauten? Ich war in Reisekleidung ohne jedes Wappen. Niemand wusste, wer ich war, und ich ahnte nicht, dass mein Name bereits berühmt geworden war.
    Bald hörte ich den Lärm bewaffneter Männer auf der Straße vor mir und lenkte Raku in den Wald. Ich wollte ihn nicht verlieren, wollte auch nicht in Scharmützel mit den zurückweichenden Tohan verwickelt werden. Sie waren in Eile und hofften offenbar, Inuyama zu erreichen, bevor die Mönche sie einholten, aber ich nahm an, dass sie am Pass von Kushimoto aufgehalten würden und dort wahrscheinlich gegen sie kämpfen müssten.
    Fast den ganzen Tag zogen sie vorbei, während ich mich durch den Wald nordwärts schlug und ihnen nach Möglichkeit auswich, doch zweimal musste ich mich und mein Pferd mit Jato verteidigen. Mein Handgelenk plagte mich immer noch, und als die Sonne unterging, nahm mein Unbehagen zu - nicht wegen meiner eigenen Sicherheit, sondern aus Angst, meine Mission nicht durchführen zu können. Es schien mir zu gefährlich, einzuschlafen. Der Mond leuchtete hell und ich ritt die ganze Nacht in seinem Licht; Raku lief leichtfüßig wie immer, ein Ohr nach vorn, eins nach hinten gestreckt.
    Im Morgengrauen sah ich in der Ferne den Umriss der Berge rund um Terayama. Vor dem Abend würde ich dort sein. Ich bemerkte einen Teich unterhalb der Straße und hielt an, damit Raku trinken konnte. Die Sonne ging auf und in ihrer Wärme wurde ich plötzlich schläfrig. Ich band das Pferd an einen Baum, nahm mir den Sattel als Kopfkissen, legte mich nieder und schlief sofort ein.
    Ich wachte auf, weil die Erde unter mir bebte. Einen Augenblick blieb ich liegen, betrachtete die Lichtflecken auf dem Teich, horchte auf das Wasserrieseln und die Schritte von Hunderten von Füßen, die über die Straße näher kamen. Ich stand
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