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Das Schwert in Der Stille

Das Schwert in Der Stille

Titel: Das Schwert in Der Stille
Autoren: Lian Hearn
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sterben«, sagte Lord Otori. »Ich kann nicht in einer Welt leben, in der du nicht bist.«
    Dann wurden aus dem Flüstern andere Geräusche, solche der Leidenschaft zwischen einem Mann und einer Frau. Ich steckte die Finger in die Ohren. Ich wusste Bescheid über Begierde, hatte meine eigene mit den anderen Jungen in meinem Dorf oder mit Mädchen im Bordell befriedigt, aber von Liebe wusste ich nichts. Ich schwor mir, nie von dem zu reden, was ich gehört hatte. Ich würde diese Geheimnisse so bewahren wie die Verborgenen die ihren. Ich war dankbar dafür, dass ich keine Stimme hatte.
    Ich sah die Dame nicht mehr. Wir verließen die Herberge früh am nächsten Morgen, etwa eine Stunde nach Sonnenaufgang. Es war schon warm; in den Tempelklöstern sprengten Mönche Wasser, und die Luft roch nach Staub. Die Zimmermädchen in der Herberge hatten uns Tee, Reis und Suppe gebracht, bevor wir gingen, eine von ihnen unterdrückte ein Gähnen, als sie die Teller vor mich hinstellte, und entschuldigte sich dann lachend. Sie hatte mir am Vortag den Arm getätschelt, und als wir uns auf den Weg machten, kam sie heraus und rief: »Viel Glück, kleiner Lord! Gute Reise! Vergiss uns hier nicht!«
    Ich wünschte, ich könnte noch eine Nacht bleiben. Der Lord lachte darüber, neckte mich und sagte, er würde mich vor den Mädchen in Hagi beschützen müssen. Er konnte in der vergangenen Nacht kaum geschlafen haben, doch hatte er offensichtlich immer noch gute Laune. Energischer als sonst ging er die große Straße entlang. Ich dachte, wir würden Yamagata auf der Poststraße passieren, doch wir gingen durch die Stadt und folgten einem kleineren Fluss als dem breiten neben der Hauptstraße, überquerten ihn dort, wo er sich schnell und schmal zwischen Felsen zwängte, und erklommen wieder einen Berghang.
    Wir hatten Proviant für den Tag aus der Herberge mitgenommen, denn sobald wir die kleinen Dörfer am Fluss hinter uns hatten, begegneten wir niemandem mehr. Es war ein enger, einsamer Pfad und ein steiler Aufstieg. Als wir den Gipfel erreicht hatten, machten wir Rast und aßen. Es war später Nachmittag und die Sonne schickte schräge Schatten über die Ebene unter uns. Die Bergketten dahinter im Osten wurden indigoblau und stahlgrau.
    »Dort ist die Hauptstadt.« Lord Otori war meinem Blick gefolgt.
    Ich dachte, er meine Inuyama, und war verwirrt.
    Er sah es und fuhr fort: »Nein, die richtige Hauptstadt des ganzen Landes - in der der Kaiser lebt. Weit hinter den fernsten Bergen. Inuyama liegt im Südosten.« Er deutete zurück in die Richtung, aus der wir gekommen waren. »Weil wir so weit von der Hauptstadt entfernt sind und der Kaiser so schwach ist, können Kriegsherren wie Iida tun, was sie wollen.« Seine gute Stimmung schlug um, wurde düster. »Und unter uns ist der Schauplatz der schlimmsten Niederlage der Otori, dort wurde mein Vater getötet. Das ist Yaegahara. Die Otori wurden von den Noguchi verraten, die ins Lager von Iida überwechselten. Mehr als zehntausend starben.« Er schaute mich an und sagte: »Ich weiß, wie es ist, wenn man die Liebsten erschlagen sieht. Ich war nicht viel älter, als du jetzt bist.«
    Ich starrte hinaus auf die leere Ebene. Eine Schlacht konnte ich mir nicht vorstellen. Ich dachte an das Blut von zehntausend Männern, das in die Erde von Yaegahara sickerte. In dem feuchten Dunst wurde die Sonne rot, als hätte sie Blut aus dem Land gesogen. Milane flogen über uns und stießen traurige Schreie aus.
    »Ich wollte nicht nach Yamagata«, sagte Lord Otori, als wir den Abstieg begannen. »Zum Teil, weil mich dort jeder kennt, zum Teil aus anderen Gründen. Eines Tages werde ich dir davon erzählen. Aber das bedeutet, dass wir heute Nacht draußen schlafen müssen, Gras wird unser Kissen sein, denn keine Stadt ist nahe genug, um dort zu übernachten. Wir werden die Lehensgrenze auf einem geheimen Weg überqueren, den ich kenne, und dann sind wir auf dem Gebiet der Otori, außer Reichweite und sicher vor Sadamu.«
    Ich wollte die Nacht nicht auf der einsamen Ebene verbringen. Ich hatte Angst vor zehntausend Geistern und vor den Ungeheuern und Kobolden, die im Wald ringsum wohnten. Das Murmeln eines Bachs klang für mich wie die Stimme des Wassergeistes, und jedes Mal, wenn ein Fuchs bellte oder eine Eule rief, wachte ich mit rasendem Puls auf. Einmal bebte die Erde leicht, so dass die Bäume rauschten und irgendwo in der Ferne Steine polterten. Ich glaubte die Stimmen der Toten zu hören, die nach
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