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Das Schloss von Otranto

Titel: Das Schloss von Otranto
Autoren: Horace Walpole
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aber sollte sie sich verbergen? wie seiner Nachforschung entrinnen, die sich ohne Zweifel durch die ganze Burg erstrecken würde? Von diesen Gedanken bestürmt, die sich einer den andern jagten, erinnerte sie sich eines unterirrdischen Ganges, der von den Gewölben der Burg zu der San Nicola Kirche führte. Konnte sie den Altar erreichen, ehe man sie einholte, so wuste sie, selbst Manfreds Gewaltthätigkeit werde nicht wagen, eine so heilige Stätte zu entweihen; auch faßte sie den Entschluß, wenn sich kein ander Mittel zu ihrer Befreyung darböte, sich auf immer unter die heiligen Jungfrauen einzusperren, deren Kloster an den Dom stieß. In diesem Vorsatz ergrif sie eine Lampe, die am Fuß der Treppe brannte, und eilte zu dem geheimen Durchgang.
    Der untere Theil der Burg war in verschiedene sehr durcheinander laufende Kreuzgänge ausgehölt; und es war nicht leicht, für jemanden der so geängstigt ward, die Thüre zu finden, welche die Höle aufschloß. Eine schauerliche Stille herrschte in diesen unterirrdischen Gegenden. Zuweilen nur erschütterte ein Windstoß die Thüren, durch die sie gekommen war, und das Scharren ihrer rostigen Angeln hallte durch das lange Labyrinth der Finsterniß wieder. Jedes Geräusch erfüllte sie mit neuen Schrecken; und doch fürchtete sie noch viel mehr Manfreds wütende Stimme zu vernehmen, wie er seine Bedienten antriebe, sie zu verfolgen. Sie trat so leise auf als ihre Ungeduld nur erlauben konnte, und doch stand sie oftmals still und horchte, ob man ihr auch folge? In einem dieser Augenblicke kam es ihr vor, sie höre einen Seufzer. Sie schauderte und trat einige Schritte zurück. Gleich darauf schien es ihr, sie vernehme einen Fußtritt. Ihr Blut erstarrte, sie schloß es sey Manfred. Jede Vorstellung, die das Entsetzen eingeben kann, bestürmte ihre Seele. Sie verurtheilte ihre rasche Flucht, die sie seiner Wuth an einem Ort blos gegeben habe, wo ihr Geschrey wahrscheinlich niemandes Beistand herzurufen könne. Doch schien das Geräusch nicht von hintenher zu kommen. Wuste Manfred wo sie war, so muste er ihr gefolgt seyn. Noch war sie in einem der Kreuzgänge, und hatte den Fußtritt zu deutlich gehört, als daß er dort her kommen sollte, wo sie gewesen war. Diese Betrachtung gab ihr Muth. Wer nicht der Fürst war, in dem hofte sie einen Freund zu finden. Schon wollte sie vorwärts gehen, als eine Thür, die in einiger Entfernung zur linken angelehnt war, leise geöfnet ward: aber bevor ihre Lampe, die sie in die Höhe hielt, ihr entdecken konnte wer sie geöfnet habe, ging der Oefner, bey dem Anblick des Lichtes, schnell zurück.
    Jeder Vorfall war hinreichend, Isabellens Muth zu erschüttern. Sie stand an, ob sie weiter gehen sollte. Aber bald überwog jeden andern Schrecken, die Furcht vor Manfred. Selbst der Umstand, daß man sie vermeide, gab ihr eine Art Herzhaftigkeit. Sie schloß daraus, es könne nur jemand seyn, der zur Burg gehöre. Ihre Sanftmuth hatte sie vor aller Feindschaft bewahrt, und das Bewußtseyn ihrer Unschuld ließ sie hoffen, die Diener des Fürsten würden, ohne ausdrücklichen Befehl ihres Herrn, sie zu suchen, ihre Flucht vielmehr befördern als verhindern. Durch diese Betrachtung gestärkt, und in dem Glauben, so weit ihre Bemerkungen reichten, daß sie dem Eingang der unterirrdischen Höle nahe sey, ging sie auf die Thür zu die man geöfnet hatte; aber ein plötzlicher Windstoß fuhr auf sie los, eben da sie hereintreten wollte, löschte ihre Lampe aus, und ließ sie in völliger Finsterniß.
    Es ist unmöglich, die entsetzliche Lage der Prinzessin auszudrücken. Allein, an einer so fürchterlichen Stäte, ihre Seele belastet mit den schrecklichen Begebenheiten des Tages, entsagend aller Hofnung auf Rettung, jeden Augenblick in Erwartung daß Manfred erscheinen werde, und weit entfernt ruhig zu seyn, bey dem Bewußtseyn einer Nachbarschaft, die sie nicht kannte, die ihre Ursachen haben muste sich dort zu verbergen: alle diese Gedanken, bedrängten ihr aus seiner Fassung gebrachtes Gemüth, sie war nahe daran unter solchen Besorgnissen zu erliegen, da war kein Heiliger des Himmels den sie nicht anrief, dem sie nicht in stillem Herzensgebet sich empfahl. So blieb sie lange Zeit, in der Todesangst der Verzweiflung. Endlich fühlte sie so leise sie konnte nach der Thür, fand sie, und trat zitternd in das Gewölbe, woher sie Seufzer und Fußtritte vernommen hatte. Es gewährte ihr eine Art augenblicklicher Freude, einen gebrochenen Strahl des
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