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Das Schicksal ist ein mieser Verräter (German Edition)

Das Schicksal ist ein mieser Verräter (German Edition)

Titel: Das Schicksal ist ein mieser Verräter (German Edition)
Autoren: John Green
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Freunde es einfach nicht verstanden; Tränen wurden vergossen; tröstende Worte wurden gesprochen. Weder Augustus Waters noch ich sagten ein Wort, bis Patrick fragte: »Augustus, vielleicht möchtest du der Gruppe von deinen Ängsten erzählen?«
    »Meine Ängste?«
    »Ja.«
    »Ich habe Angst vor dem Vergessen«, antwortete er, ohne zu zögern. »Ich fürchte das Vergessen wie der sprichwörtliche Blinde, der die Dunkelheit fürchtet.«
    »Zu früh«, sagte Isaac und grinste.
    »War das unsensibel?«, fragte Augustus. »Manchmal bin ich ziemlich blind für die Gefühle von anderen.«
    Isaac lachte, doch Patrick hob mahnend den Finger. »Bitte, Augustus. Bleiben wir bei dir und deinen Kämpfen. Du hast gesagt, du fürchtest das Vergessen?«
    »Ja«, sagte Augustus.
    Patrick fiel nichts dazu ein. »Hm, möchte vielleicht jemand etwas sagen?«
    Seit drei Jahren ging ich nicht mehr zur Schule. Meine besten Freunde waren meine Eltern. Mein drittbester Freund war ein Schriftsteller, der nicht einmal ahnte, dass ich existierte. Ich bin nicht der Typ, der sich dauernd meldet. Wenn irgendwo Freiwillige gesucht werden, ist meine bewährte Strategie, mich höflich im Hintergrund zu halten.
    Doch dieses eine Mal beschloss ich, etwas zu sagen. Ich hob die Hand halb, und Patrick rief mich sofort auf, mit offenkundiger Freude: »Hazel!« Wahrscheinlich dachte er, dass ich mich endlich öffnete. Teil der Gruppe wurde.
    Ich sah Augustus Waters an, der meinen Blick erwiderte. Seine Augen waren so blau, dass man fast durch sie hindurchsehen konnte.
    »Es kommt die Zeit«, sagte ich, »da wir alle tot sind. Wir alle. Es kommt die Zeit, da es keine Menschen mehr gibt, die sich erinnern können, dass je irgendwer von uns existiert hat oder dass unsere Spezies je irgendwas geleistet hat. Dann ist keiner mehr da, der sich an Aristoteles oder Kleopatra erinnert und erst recht nicht an dich. Alles, was wir getan oder gebaut, geschrieben, gedacht oder entdeckt haben, alles wird vergessen sein, und all das hier« – ich machte eine allumfassende Geste – »hat keine Bedeutung mehr. Vielleicht kommt diese Zeit bald, vielleicht erst in Millionen von Jahren, aber selbst wenn wir den Kollaps unserer Sonne überleben sollten, überleben wir nicht für immer. Es gab eine Zeit, bevor die Organismen zu Bewusstsein kamen, und es wird eine Zeit danach geben. Und wenn es die Unausweichlichkeit des menschlichen Vergessens ist, die dir Angst macht, dann rate ich dir eins: ignorier sie einfach. Das ist weiß Gott, was alle anderen machen.«
    Das hatte ich von meinem oben erwähnten drittbesten Freund Peter Van Houten gelernt, dem öffentlichkeitsscheuen Autor des Romans Ein herrschaftliches Leiden , welches für mich einer Bibel am nächsten kam. Peter Van Houten war der einzige Mensch, der mir je begegnet war, der a) verstand, wie es sich anfühlt zu sterben, und b) nicht gestorben war.
    Als ich fertig war, entstand eine lange Pause, und ich sah, wie sich ein Lächeln auf Augustus’ Gesicht ausbreitete – nicht das kleine schiefe Lächeln des Jungen, der versuchte sexy zu sein, während er mich anstarrte, sondern sein echtes Lächeln, zu groß für sein Gesicht. »Donnerwetter«, sagte Augustus leise. »Was für eine Frau.«
    Den Rest der Stunde sprach keiner von uns. Am Ende mussten wir uns alle an den Händen nehmen, und Patrick sprach ein Gebet. »Herr Jesus Christus, als Krebspatienten haben wir uns hier in deinem Herzen versammelt, in deinem buchstäblichen Herzen . Du, und du allein, kennst uns, wie wir uns selbst kennen. Führe uns durch die Zeiten der Prüfungen zum Leben und zum Licht. Wir beten für Isaacs Augen, für Michaels und Jamies Blut, für Augustus’ Knochen, für Hazels Lunge und für James’ Luftröhre. Wir beten, dass du uns heilen mögest und dass wir deine Liebe spüren und deinen Frieden, der über jedes Verständnis hinausgeht. Und wir erinnern uns im Herzen an die, die wir kannten und lieb hatten und die heim zu dir gegangen sind: Maria und Kade und Joseph und Haley und Abigail und Angelina und Taylor und Gabriel und …«
    Es war eine lange Liste. Auf der Welt gibt es eine Menge Tote. Und während Patrick die Liste von einem Hilfszettel ablas, weil sie zu lang war, um sie auswendig zu können, hatte ich die Augen geschlossen und versuchte gebetsmäßige Gedanken zu haben, aber hauptsächlich dachte ich an den Tag, an dem mein Name auf der Liste landen würde, ganz am Ende der Liste, wenn keiner mehr zuhörte.
    Als Patrick
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