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Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Titel: Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)
Autoren: Martine Bailey
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Wille bezahlt ist, soll das restliche Geld an die Armen der Gemeinde von Mawton verteilt werden. Bis auf eine Sache, nämlich ihr Kochbuch, in das sie geschrieben hat, soll ihrer Freundin Biddy Leigh gehören als Erinnerung an die glücklichsten Jahre, in denen sie dasselbe Gewerbe ausübten. Alle hier aufgeführten Dinge wurden von meiner Hand geschrieben an diesem 2 . Januar des Jahres 1775 und bezeugt.
    Martha Garland
    Diese Nachricht hatte ich schon lange erwartet. Eine Zeitlang habe ich überlegt, für wen das
Schatzbuch der Köchin
geschrieben sein soll. Ich sitze an meinem elfenbeinernen Schreibtisch und schaue aus dem Glasfenster. Unser Flussschiffer entlädt an der Schleuse vor unserem Haus gerade eine Ladung Zitronen. Ich höre Evelina mit ihrem Lehrer im Nebenraum plappern, und sein Bass rumpelt eine Antwort. Jack hüpft die Treppen herauf und herunter und macht dabei einen Höllenlärm, und das Baby Renzo kreischt fröhlich, wenn Ugo bellt. Überall um mich im Haus herrscht geschäftiges Treiben. Ich widme mich wieder dieser Frage, denn sie ist sehr wichtig. Für wen schreibe ich das alles auf, frage ich mich? Bisher dachte ich, für Mrs. Garland, weil diese Antwort die einfachste war. Doch sie hätte diese Seiten vermutlich nie zu Gesicht bekommen. Als ich damals zum Abschied ihre weiche Wange küsste, hatte ich gewusst, dass wir uns zum letzten Mal sahen. Ich seufze und fahre mir über die Augen.
    Dann blättere ich durch die älteren Passagen des Buches. All die Rezepte und Heilmittel, die Punsche und Würzweine. Warum hat sie Rezepte gesammelt? Dieses Band zwischen den Frauen reicht weit zurück in die Zeit, und jede hat ihre besten Rezepte mit wertvoller Tinte zu Papier gebracht. Männer, sagten sie, führen Krieg. Aber Frauen sind da großzügiger. Ich hebe den butterfleckigen Papierfetzen mit Mrs. Garlands Zierküchleinrezept hoch, und sie taucht direkt vor meinen Augen auf. Als ich an den Zimtflecken schnuppere, bin ich wieder zurück in der sonnigen Küche von Mawton und baue auf dem zerfurchten Tisch die blau glasierten Schüsseln auf. Ich könnte dieses Papier essen, so sehr sehne ich mich danach, wieder dort zu sein.
    Ich denke an Mrs. Garlands Kiste mit den kleinen Seiten, auf die sie gegen das Vergessen alles kritzelte, woran sie sich erinnerte. Jene Frauen bereiteten perfekte Speisen zu, schrieben sie in unvergesslichen Worten auf, damit wir davon kosten dürfen. Langsam beginne ich zu verstehen. Wie die ausgehöhlten Früchte, die Renzo bei den Mitternachtsfesten mit Kerzen bestückt, leuchtet in mir eine klare Erkenntnis. Was sind Rezepte denn anderes als Nachrichten von den Toten, die leise flüstern: «Probier mal.» Ich glaube, jedes Mal, wenn wir essen, sollte es ein Gericht der Liebe sein.
    Habe ich diese Aufzeichnungen also nur für mich verfasst? Ich habe lange Zeit vermutet, Mrs. Garland hätte mich mit dieser Aufgabe betraut, um mir auf meinem Weg zu helfen. Welche bessere Methode gab es, meine Sorgen zu vergessen, als sich jeden Tag in Erinnerung zu rufen und abends bei schwindendem Licht darüber zu schreiben? Doch als ich mein Taschentuch wieder wegstecke und beobachte, wie die Dunkelheit sich langsam über den Fluss senkt, kommt mir ein merkwürdiger Gedanke. Wer bin ich jetzt? Bin ich immer noch jene Biddy Leigh, die sich vor sechs Jahren auf den Weg machte? Bin ich jenes grobschlächtige Trampeltier, das nur Rezepte im Kopf hat? Nein, ich bin Signora Bibiana Cellini. Ich würde mich kaum wiedererkennen, denn meine mit Ringen besetzten Finger sind blass und dank der Aufmerksamkeit meiner Garderobiere stets sauber, mein Gesicht ist gepudert, und meine Taille schwindet, während schon bald wieder das Wochenbett naht. Ich suche nach einer Verbindung zwischen jener Zeit, als ich die Zierküchlein in Mawton verdarb, bis zu dem heutigen Tag, an dem meine Füße in diamantenbesetzten Schnallenschuhen unter dem Schreibtisch stehen. Die Verbindung ist so dünn und brüchig wie gesponnener Zucker. Jetzt werde ich geliebt, und ich bin so heil wie zwei zusammengeklebte Hälften einer Zuckerkugel. Ich habe durch meine geliebten Kinder neues Leben geschenkt. Ich habe vom Leben gekostet. Und ich habe die faulige Kälte des Todes geschmeckt.
    Mawton steht also zukünftig leer; unsere Küche ist Wind und Wetter ausgesetzt, die großen Fenster sind zerschellt und das Mauerwerk zerbröckelt. Sogar Sir Geoffreys alte Gemälde und Möbel sind in alle Himmelsrichtungen verstreut. Ich frage
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