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Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Titel: Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)
Autoren: Martine Bailey
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Schoßhündchen seinen Kopf zur Seite und kläffte gereizt. Lady Carinna sank zurück in die Polster und schien völlig erschöpft. Sie starrte abwesend ins Leere und knabberte dabei an den Fingernägeln, die schon jetzt bis aufs Fleisch blutig gebissen waren. In London ging sie vermutlich als schön durch, denn ihre Haut war glatt wie die eines hartgekochten Eis. Doch ihre Rosenknospenlippen waren unter dem Rot rissig, und ihre Haare, die bis zu den Schultern reichten, sahen schuppig aus. Dann aber fiel mir wieder ein, dass sie eine verlassene Braut war, die Mitleid verdiente.
    «Melady. Gibt es nicht noch etwas, das ich Euch bringen kann?»
    Sie schaute mich nicht einmal an, sondern schüttelte nur den Kopf und hob den Brief, um ihn erneut zu lesen. Ich zog mich zur Tür zurück.
    «Warte. Kannst du mir die hier besorgen?» Sie hielt eine mit Schleifenband beklebte Schachtel mit Süßigkeiten hoch. «Jesmire», fügte sie hinzu, als schmeckte der Name nach einer sauren Zitrone, «ist schon unterwegs und sucht mir welche. Doch ich bezweifle, dass sie Erfolg haben wird.»
    «Darf ich mal sehen?» Ich zögerte, und als sie nickte, kam ich näher und schaute in die mit mehreren Schichten Papier ausgelegte Schachtel. Ein Duft stieg aus der Holzschachtel auf – nach gutem Zucker und dann etwas anderem, zuerst noch sehr angenehm, dann aber geradezu widerlich. Wie verkohlte Melasse.
    «Veilchenpastillen?», riet ich.
    Ihr Schweigen verstand ich als Zustimmung.
    «Hier werdet Ihr die nicht finden», erklärte ich. «Doch ich könnte versuchen, Euch welche zu machen.» Ich war immer noch aufgebracht, weil sie mich und mein Frikassee so gedemütigt hatte. «Naja», ich zuckte mit den Schultern. «Ich könnt wohl was Ähnliches machen. Ich bild mir was drauf ein, fast alles kochen zu können, was ich mal gegessen hab.»
    Ich bilde mir was drauf ein. Große Worte.
    «Was sagst du? Verdammt, Mädchen! Ich versteh kaum deine verdrehte Sprache. Du könntest also welche machen?» Ihrer Miene nach zu urteilen hätte man meinen können, ich hätte ihr gesagt, sie könne sich die Veilchenpastillen in die Haare schmieren. «Also, die hier sind von
The Cocoanut-Tree
in Covent Garden. Du hast von dem Geschäft schon mal gehört?»
    Zweifellos erwartete sie von mir, dass ich mich wie ein richtiges Landei am Kopf kratzte.
    «Ihr sprecht vom
Cocoanut-Tree
in Covent Garten? Also, das ist der feinste Zuckerbäcker, den’s in der ganzen Hauptstadt gibt. Verkauft Bonbons, Makronen, kandierte Früchte und Eiscreme», verkündete ich mit meiner schönsten Vorlesestimme. Ich hatte die Reklame in Mr. Pars’
London Gazette
ausgiebig studiert, nachdem er sie neben dem Küchenfeuer liegen gelassen hatte. Die Anzeige war wunderschön, mit kleinen Zeichnungen von Zuckerhüten, Eisschälchen und winzigen Männern, die an erstaunlichen Herden werkelten.
    «Also, du äffst mich ja schön nach, was?» Ihr prüfender Blick kroch über meine Haut. Unter dem liederlichen Äußeren verbarg sich ein gewitztes Frauchen.
    «Ich kenne es jedenfalls», fügte ich rasch hinzu. «Ich bräuchte nur eine Pastille, um sie nachzumachen.»
    «Was hab ich schon zu verlieren», seufzte sie und sank wieder in die Kissen. «Nimm dir eine. Dein Name?»
    «Biddy Leigh, Melady.» Ich machte einen tiefen Knicks.
    «Nimm schon», wiederholte sie. «Aber wenn du keine perfekte Kopie zustande bringst, Biddy Leigh, musst du aus London eine ganze Schachtel voll kommen lassen und von deinem Lohn bezahlen. Hast du verstanden?» Ich spürte, wie sich mein Puls beschleunigte. Eine ganze Schachtel mochte mich den Lohn eines Vierteljahrs kosten.
    «Hast du mich verstanden? Ich will eine perfekte Kopie. Nicht bloß – wie nennst du das? – ‹wohl was Ähnliches›.»
    Sie lachte über sich selbst, weil sie mich nachahmte. Ihr heiseres Kichern gefiel mir gar nicht. Klang ich wirklich wie ein schwachsinniges Tier?
    «Aye, Melady.» Ich verneigte mich tief und steckte die Süßigkeit in meine Tasche. Als ich mich zum Gehen wandte, sah ich noch, wie sie den rattenkleinen Hund packte und mit ihm ein neues Spiel begann. Sie ließ ihn auf den Hinterläufen tanzen und balancierte zugleich eine von den teuren Veilchenpastillen auf ihren Lippen, ehe sie diese einfach runterschluckte.

V In der Destille von Mawton Hall
Am Tag vor Allerheiligen im Oktober 1772
Biddy Leighs persönliche Aufzeichnungen
    Wie man Veilchenpastillen herstellt
    Nimm die Veilchenessenz und gebe sie in Zuckersirup –
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