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Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Titel: Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)
Autoren: Martine Bailey
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regelrecht den Kopf, um mich an die feinen, traditionellen Gerichte zu erinnern, die Mrs. Garland immer für Lady Maria gekocht hatte. Schließlich entschied ich mich für Frikassee, denn es klang so hübsch französisch. Ich briet das Hühnchen in meiner Pfanne an und verzierte den Teller richtig schön mit allem, was dazugehört.
    Aber niemand kam. Dieser Lakai – war der sich auch zu fein, um ein Tablett mit Essen nach oben zu bringen? Ich fluchte leise und schickte den Laufburschen hin. Wenige Augenblicke später tauchte sein verschlafener Kopf wieder auf.
    «Da is nich keiner da, Biddy.»
    Ich versetzte ihm eine Kopfnuss und beschloss, dann eben selbst zur Lady zu gehen. Eine Hintertreppe gab es in Mawton nicht, auf der die Dienerschaft unbemerkt nach oben huschen konnte. Damals war mir gar nicht bewusst, wie ungehörig das den Londoner Gästen erscheinen musste. Seit meinem ersten Tag im Dienst in Mawton hatte ich die Gemäuer und die baufälligen Türme, die schwarz getäfelten Räume und die knarzenden Treppen geliebt. Es war gebaut, wie man vor Hunderten von Jahren große Häuser nun mal gebaut hatte, und im Laufe der Zeit waren rund um den zugigen Bergfried, der noch aus der Zeit des Eroberers stammte, immer neue Gebäudeteile hinzugefügt worden. Nur selten bot sich mir die Gelegenheit, die oberen, repräsentativen Räume zu betreten. Als erlaubte man mir, einen Palast voller Wunder zu besuchen und die weichen, türkischen Teppiche unter meinen Sohlen zu spüren und die glänzenden, zinnernen Kronleuchter zu bewundern.
    Im Treppenhaus kam ich an den Gemälden vorbei und verlangsamte meinen Schritt. Über mir thronte Sir Geoffrey in einem goldenen Rahmen und wirkte in seinem Hermelinmantel sehr herrschaftlich. Mit vierzig hatte er viel sympathischer ausgesehen als jetzt, da er schon über sechzig war. Doch schon damals hatten die ausgemergelten Wangen und die dünnen Lippen von seinem kommenden Niedergang gekündet. Was in Gottes Namen fand seine junge Braut nur an diesem Mann? Ich erinnerte mich noch gut daran, wie ich ihm an genau dieser Stelle zum ersten Mal begegnet war. Nicht allzu lange nach meiner Ankunft damals in Mawton war ich nach oben beordert worden, um bei der Auswahl der Kräuter für die Wäschetruhe zu helfen. Danach wähnte ich mich allein und trödelte herum, um genau diese Gemälde zu betrachten. Beim Klang eines klopfenden Stocks, der immer näher kam, war ich erstarrt. Es war zu spät, um nach unten zu laufen, weshalb ich mich gegen die Wand drückte, als Sir Geoffrey am oberen Treppenabsatz auftauchte. Ich sah ihn nur einen Moment lang, doch seinen Gesichtsausdruck würde ich niemals vergessen. Er war, anders als auf dem Porträt, das Wrack eines Mannes. Die weißen Haare hingen ihm fettig ins Gesicht, und der Rücken krümmte sich unter einem abgewetzten Samtmantel. Zwei blasse Augen hoben sich von dem roten Gesicht ab und trafen meinen Blick für einen winzigen Moment, ehe er sie verärgert zusammenkniff. Die Augenränder, sowohl oben als auch unten, waren unnatürlich rot.
    Mrs. Garlands Anweisungen kamen mir plötzlich wieder in den Sinn. «Solltest du irgendwann dem Master begegnen, Biddy, dreh dich sofort zur Wand.» Rasch drehte ich mich um, senkte den Kopf und betete mit fest zugekniffenen Augen, er möge mich bloß nicht ansprechen. Er humpelte näher, der Stock hämmerte auf den Stufen, während er sich hinterdreinschleppte. Ich hielt den Atem an, und er kroch an mir vorbei wie Frost, der in der Nacht überall hinkommt. Vor langer Zeit war er nach allem, was man so hörte, ein guter Mann gewesen. «Bei seiner Hochzeit mit Lady Maria hat er dem Dorf einen ganzen gebratenen Ochsen spendiert», hatte Mrs. Garland mir erzählt. Doch alles, was ich von ihm wusste, waren Geschichten von Trunkenheit und lästerlichen Tiraden, die er auf jeden losließ, der ihm über den Weg lief. Die junge Herrin tat mir leid. Sie war hierher geflohen und sorgte sich, er könne zurückkehren.
    Neben seinem Porträt hing ein anmutiges Gemälde seiner ersten Frau Lady Maria. Ihr schüchternes Gesicht war blass wie eine Perle. Jeder Zentimeter von ihr war mit Edelsteinen und Spitze herausgeputzt, und in der Mitte des Bildes baumelte von ihren schmalen Fingern der Rubin, der die «Rose von Mawton» genannt wurde. Seit Hunderten von Jahren wurde dieser Schatz in Mawton gehütet, nachdem ein Vorfahre Sir Geoffreys den Edelstein aus dem Grab eines Heiligen gestohlen hatte. Das Bild war sehr hübsch,
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