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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer
Autoren: Nicci French
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irgendwann in der Zukunft gewalttätig werden könnte?
    Genau solche Fragen habe ich meiner Betreuerin gestellt, als ich in der Klinik anfing. Sie hat mir geantwortet, das würden wir jetzt wahrscheinlich nicht feststellen können und uns hinterher alle ganz schrecklich fühlen.«
    Furth runzelte die Stirn. »Ich bin solchen Scheißkerlen wie Doll begegnet, nachdem sie ihr Verbrechen begangen hatten. Dann findet die Verteidigung immer jemanden, der vor Gericht über die schwierige Kindheit dieser Leute faselt.«
    Michael Doll hatte volles Haar, das ihm in Locken bis auf die Schultern fiel, und ein hageres Gesicht mit vorstehenden Wangenknochen. Seine Züge wirkten seltsam zart. Insbesondere seine Lippen erinnerten mit ihrer ausgeprägten Herzform an die einer jungen Frau.
    Allerdings hatte er ein auswärts schielendes Auge, und es war schwer zu sagen, ob er mich ansah oder knapp an mir vorbei. Seiner Bräune nach zu urteilen, verbrachte er einen Großteil seiner Zeit im Freien. Ich hatte den Eindruck, dass der Raum auf ihn beklemmend wirkte. Seine großen, schwieligen Hände hielten einander umklammert, als versuchten sie, sich gegenseitig am Zittern zu hindern.
    Er trug Jeans und eine graue Windjacke, die nicht weiter seltsam gewirkt hätte, wäre darunter nicht der dicke orangefarbene Pulli gewesen, den sie nicht ganz verdeckte. In einem anderen Leben, einer anderen Welt wäre er vielleicht ein attraktiver Typ gewesen, so aber hatte er etwas Unheimliches an sich, das ihn umgab wie ein übler Geruch.
    Als wir den Raum betraten, sprach er gerade schnell und nahezu unverständlich auf eine gelangweilt wirkende Beamtin ein. Ihr war anzusehen, wie erleichtert sie über unser Erscheinen war. Nachdem sie mir Platz gemacht hatte, setzte ich mich gegenüber von Michael Doll an den Tisch und stellte mich vor. Ich verzichtete darauf, ein Notizbuch herauszuholen. Wahrscheinlich würde das gar nicht nötig sein.
    »Ich werde Ihnen ein paar einfache Fragen stellen«, erklärte ich.
    »Die haben es auf mich abgesehen«, murmelte Doll.
    »Sie wollen mich dazu bringen, irgendwelche Sachen zuzugeben.«
    »Ich bin nicht hier, um mit Ihnen über das zu sprechen, was Sie getan haben. Ich möchte bloß herausfinden, wie es Ihnen geht. Ist das in Ordnung?«
    Er blickte sich argwöhnisch um. »Ich weiß nicht. Sind Sie von der Polizei?«
    »Nein. Ich bin Ärztin.«
    Seine Augen weiteten sich. »Glauben Sie, ich bin krank?
    Oder verrückt?«
    »Was glauben Sie denn?«
    »Mir fehlt nichts.«
    »Dann ist es ja gut.« Ich fand selbst, dass meine Stimme widerlich herablassend klang. »Nehmen Sie irgendwelche Medikamente?« Er starrte mich verwirrt an. »Tabletten?
    Oder Tropfen?«
    »Ich nehme was für meine Verdauung. Ich bekomme immer solche Schmerzen. Nachdem ich gegessen habe.«
    Er klopfte gegen seine Brust.
    »Wo wohnen Sie?«
    »Ich habe ein Zimmer. Drüben in Hackney.«
    »Sie leben allein?«
    »Ja. Irgendwas dagegen einzuwenden?«
    »Nicht das Geringste. Ich lebe auch allein.«
    Dolls Lippen verzogen sich zu einem kleinen Grinsen.

    Es sah nicht besonders nett aus. »Haben Sie einen Freund?«
    »Sie?«
    »Ich bin doch keine Schwuchtel!«
    »Ich meine, haben Sie eine Freundin?«
    »Sie zuerst!«, gab er in scharfem Ton zurück.
    Er war durchaus schlagfertig. Versuchte mich sogar zu manipulieren. Was aber noch lange nicht hieß, dass er verrückter war als die übrigen im Raum Anwesenden.
    »Ich bin hier, um etwas über Sie zu erfahren«, antwortete ich.
    »Sie sind genau wie die anderen.« In seiner Stimme schwang jetzt ein wütendes Zittern mit. »Sie wollen mich in eine Falle locken. Etwas aus mir rauskitzeln.«
    »Was könnte ich denn aus Ihnen rauskitzeln?«
    »Ich weiß nicht, ich … ich …« Er fing zu stammeln an.
    Seine Hände umklammerten die Tischkante. An seiner Schläfe pulsierte eine Ader.
    »Ich will Sie nicht in eine Falle locken, Michael.« Ich stand auf und sah zu Furth hinüber.
    »Ich bin fertig.«
    »Und?«
    »Ich sehe keine Probleme.«
    Neben mir hörte ich Doll weiterplappern wie ein Radio, das jemand auszuschalten vergessen hatte.
    »Wollen Sie ihn denn nicht fragen, was er bei der Schule zu suchen hatte?«
    »Warum?«
    »Weil er ein Perverser ist, darum!« Inzwischen war das Lächeln aus Furths Gesicht verschwunden. »Er ist eine Gefahr für andere, und wir dürfen nicht zulassen, dass er sich in der Nähe von Kindern rumtreibt.« Dieser Teil war an mich gerichtet. Nun begann er an mir vorbei mit Doll zu
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