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Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Silvia Kaffke
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Kinder aus, so gut es ging. Lina konnte sehen, wie sie erbleichten. Trotz des lebhaften Hafenbetriebs und der vielen Menschen, die in Ruhrort lebten oder durchreisten, waren Morde hier selten. Tote und Verletzte bei Wirtshausschlägereien, das waren die häufigsten Gewaltverbrechen.
    Die Menge drängte heran. «Das sind die Töchter vom Michel», rief plötzlich einer.
    «Du kennst die Kinder?», fragte Ebel.
    Der Mann nickte und trat noch näher. «Die haben noch bis letztes Jahr in Essenbergs Weberei gearbeitet. Als die bankrott war, kam die Familie ins Arbeitshaus.»
    «Michel Hensberg?» Ebel schien den Namen zu kennen.
    Der Mann nickte. «Die Kleine heißt Hanna und die größere Lene. Sie müssten jetzt …» Er überlegte. «Zehn und dreizehn müssten sie sein.»
    «Wir sollten den Commissar holen, er ist beim Bürgermeister», sagte Ebel, und Thade nickte.
    «Na, dann gehen Sie schon!», herrschte Ebel ihn an und ließ keinen Zweifel daran, wie die Rangordnung zwischen Stadt und Land war.
    Er wandte sich an Lina. «Fräulein Kaufmeister, vielleicht möchten Sie jetzt nach Hause gehen?»
    Lina schüttelte energisch den Kopf. «Ich bleibe, bis der Commissar hier ist.» Sie stemmte energisch ihren Stock in die Wiese und stützte sich darauf, das lange Stehen strengte sie an. Dann spannte sie ihren Regenschirm auf, denn der Nieselregen hatte wieder eingesetzt.
    Wenig später war Thade mit Ruhrorts oberstem Polizisten zurück. Lina kannte den Mann nicht, er hatte das Amt erst seit kurzem inne. Sie wusste aber, dass er bei der königlichen Polizei in Berlin gewesen war. «Jetzt wird hier endlich Ordnung herrschen», hatte ihr Bruder Georg gesagt, und er hatte nicht das Verbrechen damit gemeint, sondern die politischen Umtriebe der inzwischen versprengten Revolutionäre von 1848. «Seltsam, dass du dich so über die Revolution echauffierst, lieber Bruder, wo sie hier doch gar nicht stattgefunden hat», hatte Lina gespottet und den Vers rezitiert, der an die preußische Königin gerichtet war: «Lisbeth, Lisbeth, weine nich, du hast ja noch Duisburg, Ruhrort und Meiderich.» Alle drei Gemeinden hatten unverzüglich nach Ausbruch der Revolution ihre Steuern überwiesen, um den Kampf des Königs zu unterstützen.
    Borghoff, der ebenfalls eine Laterne trug, trat heran. Er war nur mittelgroß, der lange Sergeant Ebel überragte ihn um mehr als einen halben Kopf, zumal der Commissar leicht vorgebeugt ging. Im Schein der Laterne konnte Lina einen ergrauten Schnurrbart erkennen. Er sah sich die Mädchen genau an. «Die Leute sollen nach Hause gehen», sagte er ruhig und stellte seine Laterne so ab, dass sie die Mädchen beleuchtete.
    «Ihr habt es gehört, Männer. Das ist eine polizeiliche Anordnung.» Ebel tat wichtig und trat mit ausgestreckten Armen auf die Männer zu, als wolle er sie wegschieben. «Ich kann euch auch alle festnehmen. Denkt daran, ich kenne jeden von euch.»
    «Und wo willst du uns unterbringen?», höhnte einer von hinten. Seit das Weidetor abgerissen war, von dessen Türmen einer als Polizeigefängnis gedient hatte, gab es in Ruhrort kein Gefängnis mehr, und das Gewahrsam im angemieteten Haus am Neumarkt reichte kaum für mehr als zwei oder drei Betrunkene.
    Borghoff richtete sich wieder auf. «Da wird sich schon etwas finden lassen.» Seine ruhige Stimme strahlte weit mehr Autorität aus, als die sich vor Aufregung überschlagenden dünnen Töne Ebels.
    Murrend zog die Gruppe ab, Simon wollte sich anschließen, aber Lina hielt ihn zurück.
    Borghoff wandte sich ihr zu. «Und Sie, gnädige Frau?»
    «Das ist Fräulein Kaufmeister. Sie hat die Leichen gefunden.» Ebel klang immer noch wichtig.
    «Entschuldigung, Fräulein Kaufmeister.» Borghoff musste früher einmal gut ausgesehen haben, fand Lina. Jetzt verlief allerdings eine Narbe über sein rechtes Auge, dessen Lid herunterhing.
    «Ich dachte, Sie wollten mich und Simon vielleicht gleich sprechen.»
    «Nun, das hätte auch bis morgen Zeit gehabt. Aber wenn Sie nun schon einmal da sind …»
    Er wandte sich wieder den Leichen zu. «Lagen Sie so, als Sie sie gefunden haben?»
    «Nein.» Lina war ein wenig verärgert, dass ihre Einlassung offensichtlich unwichtig für ihn war. «Die Kleinere lag über der Größeren, als wären sie … als hätte man sie einfach weggeworfen. Ich dachte, vielleicht leben sie noch und man könnte helfen. Aber dann …»
    Borghoff nickte. Er zog seinen Säbel, und Lina konnte sehen, wie er vorsichtig das Kleid der
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