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Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen
Autoren: Gabi Kreslehner
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Leben wert?
     
    Er fuhr an mit quietschenden Reifen, zog durch wie eine
Rakete, fuhr knappe hundert Meter, sprang wieder auf die Bremsen, der Wagen
schlitterte, ich auch, dachte er, sterb ich halt auch, das Leben ist nichts
wert.
    Aber der Wagen stand still, er würde nicht sterben, er
nicht, er sprang heraus, spürte das Zittern, das heranrollte, das altbekannte,
zog Kippe um Kippe, sie brachen zwischen seinen Fingern, SCHEISSE, SCHEISSE,
dachte er, VERDAMMTE HURENFOTZE. WAS HAST DU AUS MIR GEMACHT?!
     
    Er sah das Auto, wie es sich näherte, Lärm brandete hoch,
unmusikalischer Brei. Er sah das Mädchen, irgendwie war sie hochgekommen, sie
humpelte ein bisschen, stell dich nicht so an, dachte er, BLÖDE FOTZE! Wie
damals ihre Mutter, er lachte, was für ein Zufall, hab ich schon wieder
zugeschlagen. Als hätte sie ihn gehört, wurde sie schneller, näherte sich den
Lichtern, warf sich ihnen entgegen und sie nahmen sie auf, nahmen sie mit, warfen
sie hoch. Aber zu hoch war der Himmel. Zu hoch.
    Lautlos stürzte sie hinein in die durchsichtigen Schlieren
des Regens.
    In seinen Ohren sang eine hohe Stimme wie eine Erinnerung,
er wusste, sie starb.
    Er wusste, sie war schon tot.
     
    Er fuhr nach Hause, schaute in alle Zimmer, die Kinder
schliefen, die Frau schlief.
    Er stellte sich unter die Dusche, drehte das Wasser auf
zwanzig Grad, das kühlte und beruhigte, dann ging er ins Schlafzimmer, stellte
die Wecker auf beiden Seiten des Bettes um vier Stunden zurück, ließ die
Außenjalousie herunter, um das Morgenlicht zurückzudrängen, weckte seine Frau,
schlief mit ihr, hatte Freude daran, schüttelte über sich selbst den Kopf. »Wie
spät ist es?«, fragte sie schlaftrunken, als er von ihr herunterrollte. »Noch
nicht so spät«, sagte er, hob einen Wecker hoch und hielt ihn ihr vor die Nase.
»Hier. Schau.«
    »Tatsächlich«, sagte sie. »Ich hätte schwören können ...
Wo bist du denn noch gewesen? Plötzlich warst du weg.«
    »Wir waren noch was trinken«, sagte er. »Stell dir vor, so
ein Zufall. Ich hab einen Studienkollegen getroffen. Der war auf der Feier,
Onkel eines Schülers.«
    »Aha«, sagte sie. »Na dann. Muss ja sehr anregend gewesen
sein, wenn du in dieser Stimmung nach Hause kommst.«
    Sie lachte leise, beugte sich zu ihm, versuchte ihn zu
küssen, da überkam ihn Ekel. Er wandte den Kopf. »Nicht«, sagte er und strengte
sich an, das Würgen zu unterdrücken. Aber sie merkte es, strich über seine
Brust. »Was hast du denn?«, fragte sie. »Ist dir nicht gut?«
    »Ja«, sagte er und sprang aus dem Bett. »Mir ist nicht
gut. Vielleicht eine Sommergrippe.«
    »Vielleicht hast du aber auch zu viel getrunken«, sagte
sie. »Man riecht es ein bisschen.« Er überhörte den Vorwurf in ihrer Stimme,
sagte, »Ja, kann sein, schlaf weiter«, schloss die Tür.
    Im Bad übergab er sich, zweimal, dreimal, erschrak im
Spiegel vor sich selbst, spülte sich den Mund. Als er zurückkam ins
Schlafzimmer, schlief sie schon wieder.
    Er lag wach bis zum Morgen, bis er die Uhren richtig
stellen und die Jalousien hochziehen musste.
     
    Sie liefen zum Auto. Wie immer war es spät. Schon dunkel.
Trotz Sommer.
    Erstaunlich, dachte Franza, die Tage verlaufen ins Nichts.
Als sie einstiegen, stöhnte Felix auf. Der Darm rebellierte oder die Nieren
oder die Leber, oder waren es die Bandscheiben, irgendwas von den Dingern, die
man so mit sich schleppte. Er verzog das Gesicht, sah Franzas besorgte Miene,
schüttelte den Kopf. »Willst du gegen mich antreten«, fragte sie, »im Rennen um
den ersten Platz auf Borgers Tisch?« Er warf ihr einen langen Blick zu, tippte
sich mit dem Finger an die Stirn.
    Sie erreichten Arthur auf dem Handy. »Wir haben ihn«,
sagte Franza. »Ja«, sagte Arthur. »Ich auch.«
    »Gut!«, sagte sie. »Wunderbar! Hast du eine Zeugenaussage?«
    »Natürlich!«, sagte er und schnalzte mit der Zunge.
    »Gut!«, sagte sie noch einmal. »Damit werden wir ihn
konfrontieren. Eruiere seine Adresse und gib sie uns durch. Wir treffen uns
dort. Gute Arbeit.«
    »Alles klar«, sagte Arthur, freute sich über ihr Lob und
rief die Nachtdienststelle in der Polizeidirektion an. »Die Adresse«, sagte er,
»zu folgendem Namen. Schnell.«
    Immer noch hatte er eine kindliche Freude daran, mit
Blaulicht durch die Stadt zu jagen. Es war einer der Gründe gewesen, warum er
Polizist geworden war.
     
    Es war aussichtslos. Er spürte das. Es ging nicht mehr.
Sein Leben entglitt ihm. Er war damit einverstanden.
    Am Abend
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