Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen
Autoren: Gabi Kreslehner
Vom Netzwerk:
»Warum?«
    Sie reagierte nicht sofort. Sie sah die Aufmerksamkeit in
seinem Blick und nahm eine Gabel vom Salat, ehe sie antwortete. »Warum was?«
    »Ausgeschaltet. Das Handy.«
    »Ach so!« Sie tupfte sich den Mund, nahm das Glas zur
Hand, wusste, dass sie ihm auf die Nerven ging. »Hatte ich? Heute Morgen? Ach
ja. Der Akku war leer. Ich musste ihn im Büro aufladen.«
    Sie versuchte harmlos zu klingen und spürte, dass es ihr
nicht gelang und dass er ihr nicht glaubte. »Wie geht es Felix?«, fragte er.
     
       »Wieder nicht aufgeräumt!«, sagte sie jedes Mal, wenn
sie zu ihm kam von ihrer obligatorischen Leiche, wenn sie in sein Zimmer trat
und sich seufzend auf seinem Bett niederließ. »Lebst in einem Saustall. Kommst
und gehst, wie es dir passt. Dein Leben rinnt dir durch die Finger.«
    Das allerdings, dachte er, wäre fatal. Wenn das Leben ihm
durch die Finger ränne. Was es nicht tat. Eindeutig nicht. Nicht mehr. Denn
Marie hatte ihn gesehen. Endlich. Und liebte ihn. Das Leben war schön. Marie
liebte ihn. Endlich. Seine Finger kritzelten über das Papier. Marie in der
Straßenbahn. Marie, die Feine. Marie, die Superkleine.
    Marie in der Straßenbahn.
    Was machte er denn da? War das ein Gedicht? Ein
Liebesgedicht? In mein Herzlein klein kommt Marie nur rein. Auf Maus reimt sich
Laus und der Klaus. Was für eine Scheiße! Er lachte, schüttelte den Kopf,
drehte sich mit seinem Stuhl und ließ das Zimmer kreisen.
    »Wieder nicht aufgeräumt«, würde Franza sagen. »Lebst in
einem Saustall. Kommst und gehst, wie es dir passt. Dein Leben rinnt dir durch
die Finger. Ach, Ben! Ben.«
    Sie war oft nicht da. Oft nicht da gewesen. Sie hatte
diesen Beruf. Das hatte er früh lernen müssen. »Schurken jagen!«, sagte sein
Vater mit einem leichten Unterton.
    Und ihre Stimme, wenn sie »Ach, Ben!« sagte, war immer
gleich. Als falle sie einem großen Staunen anheim, einem großen Staunen.
    Dieser Satz war nicht von ihm, dieser Staunen-Satz. Solche
Sätze waren nie von einem selbst. Solche Sätze hatten Jahrhunderte auf dem
Buckel, solche wanderten durch die Jahrhunderte, aufhorchend, luchshaft, und
bei der ersten Gelegenheit setzten sie sich in einen passenden Pelz wie eine
Zecke. Sein Pelz war passend. Als falle man einem großen Staunen anheim. Er,
Ben, sammelte solche Sätze. Er fand das aufregend, besonders. Wie Marie.
Allerdings war Marie noch besonderer. Sie war das Besonderste, das ihm je
passiert war.
    Das Apfelfetzchen im Weiß ihrer Zähne übrigens würde
seinen ewigen Weg auch schon gegangen sein. Der war von ihm.
     
    »Es werden zwei«, sagte Herz und sah elend aus. »Das wird
hart.« Franza riss die Augen auf. »Ist nicht wahr!«, sagte sie. »Doch«, sagte
er. »Ist wahr. Jetzt ist sogar Angelika geschockt.« Sie tranken Automatenkaffee
aus Bechern, die Kaffeemaschine war endgültig hinüber und noch hatte keiner
eine neue besorgt. Es war Mittwoch, zehn Uhr vormittags, Franza war pünktlich
zum Dienst erschienen, keine Abzweigungen Richtung Portugal, das Madchen saß in
ihrem Kopf, wollte erkannt werden, wollte seinen Namen zurück.
    Sie waren alle Vermisstenmeldungen durchgegangen. Nichts.
Sie würden ihr Bild den Zeitungen geben.
    »Anfang November ist es so weit«, sagte Herz. »Dann haben
wir fünf von diesen Dingern. Stell dir das mal vor! Fünf! Unvorstellbar.«
    Er schniefte ein bisschen, schüttelte den Kopf. »Sie hatte
gestern Nachmittag einen Termin beim Gynäkologen. Da gab es dann die große
Überraschung.« Franza zog die Keksdose aus der Tasche. »Hier«, sagte sie.
»Unsere tägliche Ration Zucker. Kriegst du in Zukunft jeden Tag, wenn du
willst. Macht glücklich.«
    Er nickte und verzog das Gesicht. »Ich weiß das zu
schätzen«, sagte er. »Aber ich hab Zahnweh. Zu allem Überfluss. Seit gestern.
Seit deiner Bäckerei. Ich hab kaum geschlafen, massenhaft Tabletten gefressen.
Und dann auch noch diese Nachricht.«
    Er stöhnte unglücklich vor sich hin. »Glaubst du, du
könntest deinen Mann anrufen, dass er mich einschiebt?«
    Franza wiegte den Kopf hin und her. »Ich weiß nicht«,
sagte sie zögernd. »Ob das so eine gute Idee ist? Das könnte schmerzhafter für
dich werden als nötig.
    Vielleicht solltest du dir einen anderen Zahnarzt suchen.«
    Felix schaute sie erstaunt an. »Warum das denn? Ich geh
doch regelmäßig zu Max.«
    Naja, dachte Franza, wenn regelmäßig alle fünf Jahre heißt
und wenn regelmäßig nur-wenn's-brennt meint, ja,
dann ist regelmäßig tatsächlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher