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Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen
Autoren: Gabi Kreslehner
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regelmäßig. »Man könnte fast sagen, er ist der
Zahnarzt meines Vertrauens«, sinnierte Felix vor sich hin und befühlte mit der
Zunge den Backenzahn, den die hohen Tablettengaben offenbar endlich beruhigt
hatten.
    »Erklärung«, sagte er dann. »Komm schon. Rück raus. Du
weißt, wer hier in diesem Raum der Verhörspezialist ist. Also, was hab ich
verbrochen? Warum darf ich nicht mehr zu Max? Warum darf Max nicht mehr an
meine Zähne?« Franza seufzte und klopfte mit ihren Fingernägeln auf die
Schreibtischplatte. Aus einem uralten Bilderrahmen lachten uralte Bilder von
Max und Ben. Auch damals war die Welt nicht in Ordnung gewesen. Na gut, dachte
sie, er wird mich sowieso nicht davonkommen lassen. Sie schluckte und gab sich
einen Ruck. »Ich glaube, er vermutet, dass ich ihn betrüge. Und ich glaube, er
hat dich in Verdacht.«
    »Mich!« Felix lachte überrascht auf. »Halleluja! Das sind
ja Neuigkeiten.«
    Er nahm einen Keks, biss vorsichtig hinein, schob ihn
sofort in die linke Backe, trank Kaffee hinterher. »Und? Tust du?«
    »Was?«
    »Ihn betrügen.«
    Franza schwieg. Felix grinste und schüttelte den Kopf.
»Franza, Franza!«, sagte er. »Was bist du nur für eine.«
    Sie taten es im Stehen, Franza und Port, im Liegen, im
Sitzen, ausführlich, genau, wie Liebende es tun.
    Sie taten es wie Liebende.
    Sie brauchten immer mehr Worte, schon gab es unsere
Sätze. Dem hatte sie nichts entgegenzuhalten. Es war gefährlich.
»Liebst du deinen Mann nicht mehr?«, fragte Felix.
    »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Es ist so viel geschehen
durch all die Jahre. Ich weiß es nicht.«
    Herz nickte wie einer, der wusste, wovon sie sprach. »Wir
sind über vierzig«, sagte er. »Ändert sich da nicht alles? Und immer wieder?
Muss sich nicht immer alles ändern? Und wenn man dem Tod so oft ins Auge sieht
...«
    Er nahm einen Schluck Kaffee, starrte vor sich hin. »Meine
Frau«, sagte er, »Angelika, sie hat früher oft Angst gehabt. Nachts. Ist wach
gelegen. Jetzt schon lang nicht mehr. Jetzt hat sie die Kinder.«
    Franza nickte. »Ja«, sagte sie. »Ich weiß, was du meinst.«
    »Das Mädchen«, sagte Herz. »Ich habe ihr Bild den
Zeitungen gegeben.«
    »Gut«, sagte Franza. »Gut.«
     
    In der Donau, im Spiegel der Aubäume, flirrte das Wasser.
Manchmal sprangen Fische ins Klare der Uferränder. Man konnte Steine sehen,
Sand, Blätter, loses Gesträuch und die Schatten der Büsche am Grund. Gelbe
Tupfen blitzten im Grün der Wiese, manchmal violett, Mohnblumen leuchteten,
Holunder blühte.
    »Komm!«, sagte Marie. »Komm her, mein Ben!«
    Ein Jogger in burgunderrotem T-Shirt jagte in rasendem
Tempo das Ufer entlang. So rasch, wie er aufgetaucht war, war er verschwunden.
Ein anderer kam, langsamer, am Ende seiner Kräfte. Sie hörten seinen Atem,
seine Schritte. Er nickte ihnen zu, sie grüßten zurück.
    »Hier bin ich oft gewesen«, sagte Marie. »Ich habe das
geliebt. Die Stille. Dass man nur den Wind hört und die Bäume. Und dass dann
die Frösche quaken. Oder die Enten. Ich kann das ja nicht unterscheiden.« Sie
lachte.
    »Frösche«, sagte Ben und grinste. »Es sind Frösche,
Stadtratte!«
    »Ach was!« Sie lachte. »Landei!«
    Er hüpfte mit seinen Fingern auf ihrem Arm.
    »Du bist lieb, Ben«, sagte sie inmitten des Kusses.
»Kommst du mit nach Berlin?
    Drückst du mir die Daumen?«
    »Ja«, sagte Ben. »Klar. Klar mache ich das.«
    Er lehnte sich zurück und schaute in die Sonne. Alles
wurde klarer an Maries Seite, sie, die für ihn die Klarheit in Person war,
klärte und reinigte. Seine Gedanken, seine Gefühle, sein Leben.
    »Ich werde Biologie studieren«, sagte er. »Und wenn ich
fertig bin, werde ich keinen Job kriegen, weil man mit Biologie eben keinen Job
kriegt. Mein Vater wird seine Praxis verkaufen, weil ich sie nicht übernehmen
werde, dann wird er mir großzügig einen monatlichen Scheck gewähren, der uns
das Überleben sichert, solange du noch keine berühmte Schauspielerin bist. Aber
irgendwann wirst du große Rollen spielen, dann bringst du das Geld heim, und
ich werde Hausmann und ziehe unsere Kinder auf und komme regelmäßig mit ihnen
hierher, damit sie, wenn sie groß sind, das Quaken von Enten und Fröschen
unterscheiden können. Spätestens dann wird mein Vater nach Schweden ziehen und
meine Mutter wird bis ans Ende ihres Lebens Mörder jagen.«
    »Wow«, sagte sie und grinste. »Was für ein Monolog!« Sie
zog ihn hoch.
    »Komm! Lass uns ins Wasser gehen.«
    »Was?«, quietschte er.
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