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Das Niebelungenlied

Das Niebelungenlied

Titel: Das Niebelungenlied
Autoren: Manfred Bierwisch
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Baumgärtner, Joachim Menzhausen sowie Eberhardt Klemm – ebenso locker und freibleibend wie verläßlich und vorbehaltlos verabredet zu gemeinsamem Umgang, wo immer der sich ergab. Das war zum Teil eine Sache studentischer Interessen, auch gemeinsamer Lehrveranstaltungen, alltäglicher Begegnungen, aber es war weit mehr als das oder eigentlich etwas ganz andres. Es ging um die Erkundung eines gemeinsamen geistigen Horizonts, der sich der üblichen Reglementierung entzog, um die Entdeckung der nicht konformen Welt der Moderne, um das Aufregende und Faszinierende, das damit verbunden war und das quer stand zum verordneten Lehrplan. Doch eswar zugleich die Verständigung über das ganz Alltägliche, die Tatsache, daß man sich ganz selbstverständlich aufeinander verlassen konnte und füreinander einsprang, wenn es nützlich oder nötig war. Der große Spaß, der damit auch verbunden war, er war erkennbar unter anderem an den Namen, die wir füreinander akzeptierten: Uwe Johnson hieß Ossian, weil er uns von Anfang an gerüchteweise als Dichter galt, mich hatte unsere Hemingway-Faszination auf Jake festgelegt, so wie zuvor Klaus Baumgärtner und Joachim Menzhausen auf James, und Eberhardt Klemm war ohnehin längst mit seinem Emblem Béla eins geworden. Ossian war aus Rostock gekommen, er war der einzige in dieser informellen Gruppe, der nicht in Leipzig zu Hause war. Und das Auffinden einer passablen Studentenbude gehörte schon zu den Alltäglichkeiten, an denen wechselweise Anteil zu nehmen war. So kam es, daß Ossian, als ich ein Jahr im Lungensanatorium verbringen mußte, ein Zimmer im Haus meiner Eltern bewohnte. Soweit die Umstände das ergaben, gehörten wir beinahe zur gleichen Familie. Denn nicht nur die Besuche, die er bei mir im Sanatorium und die ich von dort aus zu Hause machte, waren Gelegenheiten, die über Gespräche zwischen Kommilitonen weit hinausgingen.
    Das führte die beiden Ausgangspunkte der gemeinsamen Unternehmung wie von selbst zusammen. Wir kannten die Schwierigkeiten, im Staatssozialismus als diplomierter Germanist ein Auskommen zu finden, wenn man mit der Partei der herrschenden Klasse Ärger hatte. Dabei stellten sich meine Probleme ungeachtet der Vorgeschichte ziemlich schnell als die geringeren heraus – nicht wegen des halbherzigen Klimawandels, den der XX. Parteitag der KPdSU auch in der SED erzwungen hatte, vielmehr lag die Linguistik etwas weiter ab von der ideologischen Verkrampfungdes Literaturbetriebs, von der Johnson mit ihrer ganzen bizarren Sturheit betroffen war. Während ich nach kurzer Zeit Assistent an der Akademie der Wissenschaften in Berlin mit einem Monatsgehalt von 675 Mark geworden war, übrigens immer noch (oder wieder) im Zuständigkeitsbereich von Theodor Frings, wurden Johnson alle irgend denkbaren Arbeitsverhältnisse verweigert. Das erzwang Einschränkungen: »Selbst wer gewohnt war, auszukommen mit 130 Mark im Monat, ist ungenügend trainiert für ein Überleben nach der Melodie von monatlich 72,45 Mark« heißt es dazu von seiner Seite. 8 So kam ich auf den Gedanken, daß wir vielleicht mit einer Verabredung gleich zwei Dinge erreichen könnten.
    Da ich als Akademie-Assistent in der Arbeitsstelle für Deutsche Grammatik angestellt und möglichst zügig eine Dissertation zu schreiben gehalten war, erwies sich nämlich nun der Vertrag über das Nibelungenlied nicht bloß als unnötig, sondern überdies als gar nicht erwünschte zusätzliche Verpflichtung. Andererseits war die Situation Johnsons fatalerweise ziemlich genau von der Art, die ich bei Abschluß des Übersetzungsvertrages vor Augen gehabt hatte. Selbst Gelegenheitsarbeiten für Verlage erlaubten ihm nur von Fall zu Fall, den Alltag zu bestreiten. Sollte da nicht eine Rochade möglich sein, zumal Johnson die Arbeit an seinem ersten Roman Ingrid Babendererde abgeschlossen hatte und ein anderes Buch noch in der Zukunft lag? 9
    Die Idee war einleuchtend, doch wurde schnell klar, daßein einfacher Tausch aus mehreren Gründen nicht in Betracht kam und vielleicht auch nicht wünschenswert war. Vor allem der Verlag wünschte keine Änderungen des Vertrags und legte Wert auf die Einhaltung der Vereinbarungen, zeigte sich aber zugleich ausdrücklich desinteressiert daran, wie die vertragliche Leistung zustande käme, vorausgesetzt, der Vertragspartner blieb dem Verlag verantwortlich für das Ergebnis. Konkret hieß das, der Cheflektor nahm billigend zur Kenntnis, daß Uwe Johnson an der Arbeit beteiligt
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